Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im März 2022

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

Die Verlierer © Amadeo Kulzer
© Amadeo Kulzer

Minck – »Grüße an die Welt«

Minck © Sibylle Mall
Minck © Sibylle Mall

Wer sich noch an den April 2021 erinnert, weiß vielleicht auch noch, dass wir an Ort und Stelle das Solodebüt von Oliver Minck, eventuell bekannt von den Gruppen Wolke und Die Sonne, gelobt hatten. Dass wir damit nicht die einzigen waren, spricht nur für die Qualität von »Einsame Inseln«, schließlich macht ja erst die Summe von Einzelmeinungen einen fundierten Standpunkt aus. Für sein zügig nachgeschossenes und im Heimstudio aufgenommenes Zweitwerk – was macht man sonst in einer Pandemie? – versucht sich der Kölner an einem balladigen Folk-Album, das gleichsam romantisch und zart wirkt, wer an Soft-Folk denkt, hat wohl am ehesten recht. Das gelingt meist recht schwerelos und möglichst schlicht, fast schon traumwandlerisch federleicht schweben die zehn Stücke durch den Raum, sogar das Stück »Alles was zählt«, eine Interpretation des – aufgepasst und festgehalten! – Metallica Klassikers »Nothing else matters«, dem man ansonsten ja den Stempel des puren Kitsches anheften würde. Und alleine für diese Umdeutung lohnt sich »Schöne Grüße an die Welt«.

»Schöne Grüße an die Welt« von Minck erscheint am 25.3.2022 via Tumbleweed Records. Keine Österreich-Termine. Kaufen hier.

Die Verlierer – »Die Verlierer«

Die Verlierer © Amadeo Kulzer
Die Verlierer © Amadeo Kulzer

Ja, die Gerüchte sind wahr. Die superbste Gruppe, die jemals deutschen Boden betreten hat, nämlich Chuckamuck, hat sich mit einer weiteren recht guten Gruppe, nämlich Maske, zur Supergroup sui generis namens Die Verlierer zusammengetan. Der Name, ja gut, die einen sagen so, die anderen so. Natürlich sind das keine Verlierer im musikalischen Sinne, Begründung folgt, aber in diesem spätkapitalistischen System, dazu noch im zu Tode spekulierten Berlin, woher die Gruppe stammt, sind wir doch alle ein wenig vor allem Verlierer. Das ist auch das Hauptthema des selbstbetitelten Debütalbums, das direkt ohne Proben auf Band gepresst wurde und nun zuerst überhaupt nur als Kassette erscheint, dieses Erheben von Einspruch gegen die solidarisch eher bescheidenen Gegebenheiten einer durchkapitalisierten Großstadt. Was aber überrascht: »Die Verlierer« ist kein schönes Punk-Album, eher eine Mischung aus diesem, NDW und Krautrock, aber vor allem auch düsteren Post-Punk. Wer die erste Single »Mann im Mond« nicht großartig findet, verlasse bitte den Raum.

»Die Verlierer« von Die Verlierer erscheint am 11. März 2022 via Mangel Records, vorerst auf Kassette. LP kommt Ende des Sommers. Tape kann man hier kaufen.

Buhai – »Buhai«

Buhai © Dovile Sermokas
Buhai © Dovile Sermokas

Denk an dieser Stelle an lange Autofahrten auf dem Rücksitz, oder – ökologisch vertretbarer – an die Langstrecke in Zugabteilen nach nirgendwo, an Momente, wo dir nur ein gutes Hörbuch hilft, dich in den Schlaf zu schlummern. Wobei, schlafen willst du eigentlich gar nicht, du willst zuhören, willst die dramatischen Windungen des Schicksals erfahren. Für ein ähnliche Momente eignet sich auch die neu gegründete Berliner Gruppe Buhai äußerst prächtig, die auf ihrem Debüt mit Bedacht und Sänfte erzählt und musiziert, dass es eine helle Freude ist. Veröffentlicht und entdeckt von Ekki Maas, den du von Erdmöbel kennst – passt musikalisch nämlich auch ganz gut –, führt dich »Buhai« inhaltlich an entlegene und nahe Orte und Phantasmen von Ferien, während die Instrumentierung mäandert wie Quallen, bis nach Triest kommen. Soft Rock, der an Dream Pop und Chanson streift, ja keine Aufregung, lieber einfach noch ein paar Momente aus dem Fenster starren bis es am Horizont schön langsam wieder heller wird. Stark! 

»Buhai« von Buhai erscheint am 18. März 2022 via jippie! Industrie. Keine Österreich-Termine, hier zu kaufen.

Strandhase – »tbd.«

Strandhase © Julia Dragosits
Strandhase © Julia Dragosits

Von allen Erinnerungen, die sich in einem Leben in den Synapsen speichern, schätzt man doch am allerwenigsten die schlechten. Also, Strandhase: Wir hatten an Ort und Stelle, kurz vor Ausbruch einer Pandemie, ausgiebig das Debüt der Wiener Gruppe Strandhase kritisiert, als überdramatisch in Musik und Gehabe der Band beschrieben, ohne Ecken und Kanten kategorisiert und auch das Wording »Cock’n’Roll« fand sich damals, der »Tod des Indie-Rocks« sowieso. Nach nun zwei Jahren erscheint der Nachfolger und aus den einsteigen bestimmenden Themen – dem Weggehen, Party, Party, Party bis zum Untergang – ist außer ganz guten Erinnerungen nichts geblieben. Strandhase gehen daher für das zweite Album den Weg des geringsten Widerstands, nach innen, ins Seelische, gleichzeitig mit musikalischer 180°-Drehung, zumindest teilweise. Nur schade, dass die Songs halt leider auch nicht besser geworden sind, im Zweifel sogar bescheidener. Den Tiefpunkt an überkandideltem Autotune-Pop erreicht die erste Vorab-Nummer »Lisboa«. Es kann mir keiner erzählen, dass auch nur irgendjemand gesagt hat: »Joa, das ist geil.« Ist es nämlich nicht.

Das zweite Album von Strandhase, dessen Titel wir noch nicht kennen, soll am 11. März 2022 via Problembär Records erscheinen. Tour-Daten für Österreich gibt es noch keine. Kaufen womöglich hier.

Update / Korrektur: Das neue Strandhase-Album erscheint laut Labelinformationen erst Ende Mai / Anfang Juni 2022.

 Odeville – »Jenseits der Stille«

Odeville © Odeville
Odeville © Odeville

Googlet man nach der Hamburger Rockgruppe kommt sofort »Deutsche Biffy Clyro«, so wie belegte Brote deutsche Tapas sind, oder so. Schmeckt im Zweifel auch besser. Musikalisch ist hingegen Odeville tatsächlich ein wenig spannender und abwechslungsreicher, auch immer eine Gratwanderung zwischen »okay« und »okaaay«, da kommt einiges zusammen, nach drei englischsprachigen Alben mit Hard Rock – Betonung auf Rock und Hard – gibt’s seit 2016 zielgruppenoptimiert deutschsprachigen Pathos-Rock-Pop, aber nicht immer der schlechtesten Sorte. Es gab Lob für die beiden letzten Alben »Phoenix« und »Rom«, gleichermaßen Aufmerksamkeit gab es auch für die vier Vorab-Singles von »Jenseits der Stille«, vor allem für die vierte namens »Stille« – also quasi diesseits – über den rechtsextremen Anschlag in Halle aus Sicht der Mutter des Täters mit starker Botschaft. Auch zumindest interessant: Eine sehr eigenständige Coverversion des Fury-In-The-Slaughterhouse-Songs »Won’t forget these days«, auch wieder einer dieser »okay« oder »okaaay«-Choices. Muss man mögen, könnte man aber.

»Jenseits der Stille« von Odeville erscheint am 18.3.2022 via Crestwood. Tour-Daten für Österreich gibt es noch keine. Kaufen hier.

AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:

 Stereogold – »Verlierer«

(VÖ: 11. März 2022)

Für all jene, denen die drei Buchstaben P-O-P nicht groß genug buchstabiert werden können, hat die Kölner Band Stereogold die richtige Dosis: Möglichst viel Pop und möglichst viele Emotionen standen beim Produktionsprozess im Fokus, es ist melancholischer Pathos-Stadion-Rock, der teilweise ein bisschen textlich daneben greift – wer hört’s raus? –, dass die beiden Vorab-Singles von Apple Music gefeatured wurden, ist dabei tatsächlich konsequent. Hier kaufen.

Kmpfsprt – »Euphorie und Panik«

(VÖ: 18. März 2022)

Die Gruppe ohne Vokale – wie es laut Wikipedia-Artikel zur Gruppe »heute in der Hipster-Sprache üblich ist« –, veröffentlicht erstmals seit dem 2018er-Album »Gaijin« wieder einen Langspieler, eine selbstbenannte Single aus dem 20er-Jahr bestätigt die Regel, tendenziell bleibt sie sich aber treu in Hinblick auf Text und Musik: Sozialkritischer Pop-Punk, der durchaus eine dicke Lippe riskiert. Und das ist gut so. Hier kaufen.

Laibach – »Wir sind das Volk (Ein Musical aus Deutschland)«

(VÖ: 25. März 2022)

Dass die Gruppe Laibach – dessen Gesamtkunstwerk ja eine ähnliche Komplexität aufweist wie mögliche kritische Auseinandersetzungen mit der Gruppe selbst – das Spiel mit Symbolik beherrscht, dürfte bekannt sein. Ihr neuestes Werk, dem tatsächlich ein Musical von Heiner Müller und dessen Aufführung durch Laibach zugrunde liegt, macht da keine Ausnahme, das Artwork von Gottfried Helnwein (aus der »Ephiphanie«-Serie) trägt sein Übrigens zu einem verstörenden Stück Musik dabei. Kaufen hier.

Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.

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