Der Kultursommer Wien wird dieses Jahr wieder stattfinden. Nach teilweiser Kritik im letzten Jahr wurde das Angebot ausgebaut und neu gedacht. Pünktlich zur Programmpräsentation beantwortete uns die Kuratorin der Club-Schiene, Nadine Cobbina aka Die Zuckerlkettenfrau, die brennendsten Fragen.
Was fehlt der freien Szene elektronischer Clubmusik seit Beginn der Pandemie in Wien besonders und was sind Ansätze, dem entgegenzuwirken?
Ein Ansatz war, die IG Club Kultur zu gründen. Die Szene ist oft noch etwas reibend und arbeitet zu wenig miteinander, die Pandemie hat – meiner Meinung nach – endlich ein Zusammenrücken bei einigen geschafft. Uns fehlt die Möglichkeit der Präsentation und der Anerkennung. Es ist immer noch so, dass zwar seit der Pandemie so viel über Clubs gesprochen wurde wie noch nie, aber trotzdem auf diese Kultur und die Beitragenden abgeschwärzt wird, wenn man wieder einen Sündenbock braucht. Es fehlt der Respekt, die Expertise der Menschen anzunehmen und zu integrieren, es fehlen Bunker, Freiflächen und Orte, die dauerhaft für die Kulturumsetzung zur Verfügung stehen. Die Szene wird immer mit kleinen Zuckerln »belohnt«, um uns im Rahmen zu halten, aber nicht als vollständigen Teil der Gesellschaft gesehen. Es ist so, als würde die Schickeria uns an den Rand drängen wollen und Platz für überteuerte Spritzer brauchen.
Es gibt laufend aktuelle Präventionskonzepte aus der Szene, aber keine Möglichkeit diese umzusetzen. Die Republik ist zu feige und zu normy, um anti-kapitalistischen und non-konservativen Ansätzen einen Raum zu geben. Wir können noch so viel vorschlagen – wenn es ignoriert wird, wird die Szene in die Illegalität gedrängt. Und das passiert gerade. Dieser Schachzug ist bitter und inakzeptabel. Deshalb ist es wichtig, den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu stärken und weiterhin »kreative Lösungen« zu präsentieren. Einen langen Atem zu haben, schadet dabei nicht, ich bin auch schon sehr müde. Es fehlt, dass wir auf selber Linie stehen wie andere Kulturrichtungen. Es gibt immer noch so ein Ein- bzw. Ausklammern unserer Ideen, Seins-Strukturen und Wünsche. Das gehört längst revolutioniert, siehe, was in Berlin geht.
Eine wiederkehrende Problematik in Wien ist die Vermittlung zwischen Veranstaltenden beziehungsweise Ravern und Anrainer*innen, die es lieber ruhig haben. Wie wird seitens des Kultursommers damit umgegangen?
Deshalb hat es ja eigentlich die Initiative Nachtbürgermeister gegeben, die quasi in das Pilotprojekt der Vienna Club Commission verwandelt wurde. Wir sind halt leider nicht Barcelona, Lissabon oder Rom, wo ein feierndes Miteinander, ein Leben auf den Straßen dazugehört. Ich liebe Ruhe, Stille und Natur, aber ist ein Ort innerhalb einer Stadt dafür da? Wohl kaum. Aber let’s not go into this Grundsatzdiskussion.
Beim Kultursommer gibt es Bühnen, die für Lärm besser geeignet sind als andere, und das versuchen wir in der Programmierung zu berücksichtigen. Für die Club-Location wurde ein Lagerplatz der MA 28 ausgewählt, der im Becken einer Autobahnschleife liegt. Also recht rustikal und industriell, ur nice für das Empfangen fetter Mukke. Dort sollen wir auch offiziell laut aufdrehen dürfen, heißt es. Tanzen ist derzeit leider trotzdem nicht drinnen, außer die Verordnungen ändern sich. Also der Platz, wo was stattfindet, ist die wichtigste Base, auf der das Kartenhaus steht oder fällt. Es wurde ein halbes Jahr nach dem Platz gesucht, an dem laute Rave Music ungestört brummen darf.
Wird es eine Sperrstunde geben? Wenn ja, wie spät wird diese sein?
Derzeit heißt es 24 Uhr. Es gibt keine Ausgangsbeschränkungen mehr, aber trotzdem darf kein reguliertes Nachtangebot stattfinden. Lächerlich … Die Tagesbühnen stecken um 22 Uhr ab, die Clubbühne sollte über die Nacht laufen. Ich hoffe, dass mit Juli ein Feiern ohne Sperrstunde möglich ist. Derzeit wäre aber auch bei der Club-Location frühzeitig Schluss. Aber angeblich ist die Nacht und der Alkoholkonsum ja gefährlich. Nieder mit der Sperrstunde! Her mit der Möglichkeit, ausgedehnt zu feiern, Massen zu verteilen und gesättigt zu sein! Dann muss auch niemand am nächsten Tag wieder wohin oder nach Hause weiterziehen.
Der Wiener Kultursommer entstand aus der Pandemie, um lokalen Künstler*innen vergangenen Sommer trotz großteils geschlossener Bühnenlocations Raum und Möglichkeit für Auftritte und die damit verbundenen Gagen zu ermöglichen. Was wird vom Kultursommer bleiben, wenn die Pandemie zu Ende geht?
Eigentlich braucht Wien schon lange ein komplementäres Festival zum Donauinselfest – der Kultursommer wird auch gut angenommen. Als Medienfachfrau sehe ich großes Potenzial in diesem Festival, sich als Stadt zu präsentieren und zu vermarkten. Und da wäre noch einiges mehr drinnen, je mehr Communitys und Interessen eingebunden werden. Somit gibt es hoffentlich eine Verlängerung des Konzepts. But I can’t tell …
Inwiefern darf zukünftig mehr Zusammenarbeit einzelner Akteur*innen aus Kunst und Kultur und der Stadt Wien erwartet werden? Gibt es weitere Konzepte zu Partizipationsmöglichkeiten, Austausch und Vernetzung?
I work on those – aber es braucht viel Druck. Ich würde nicht ganz sagen, dass es ein Genrationsproblem ist, aber irgendwie halt schon. Die Stadt hat Bock auf frisch, frech, dynamisch und divers. Deshalb ist Kommunikation der Magistrate zu IGs und Akteur*innen, das Einbinden junger Menschen und diverser Communitys so wichtig, um eine gesamte Darstellung zu ermöglichen. Es wäre wünschenswert, weitere runde Tische einzuführen und Partizipation zu ermöglichen. Momentan gibt es Förderungen und Stipendien, die aufgestellt wurden, aber immer noch keine dauerhaften Flächen und die Bereitschaft, Räume zur Verfügung zu stellen. Die Flaktürme stehen ewig leer, auch die kürzlich passierte Hausbesetzung im ersten Bezirk zeigt, auf wie viel Leerstand die Stadt sitzt. Oft gibt’s Zwischennutzungsprojekte und im Endeffekt verschwinden wunderbare Realitäten wie am Cobenzl, der Betondschungel oder die Krieau. So etwas darf ruhig bleiben. Wir sind oft nur Lückenfüller, dabei könnten wir dauerhaft bereichern. Kunst und Kultur braucht Ressourcen, diese könnten auch ohne Gelder gestellt werden, denn künstlerische Wesen sind solidarisch und arbeiten in vernetzter Gemeinschaft. Überlebenskünstler*innen müssen das, und schaffen aus wenig oft kreativ Großes. Das darf ruhig mal anerkannt werden.
Leider weiß ich von keinen neuen Konzepten, die künftig passieren sollen, hoffe aber, dass vielleicht diese Kuration der Anfang ist, Menschen aus den Szenen direkt einzubinden und gemeinsam gestalten zu lassen, was für nicht möglich gehalten wurde. Von beiden Richtungen nämlich. Also ich bin jedenfalls gerne bereit, unsere tolle Stadt noch bunter und lebendiger zu gestalten und mit jungen Menschen in partizipativen Strukturen mit etablierten Könnenden überall Kunst und Kultur wie Löwenzahn durch den Beton aufpoppen zu lassen und nicht wieder wegzumähen. Dafür braucht es die Bereitschaft, die sichtbare Notwendigkeit und den Willen. Seit der Pandemie ist es noch klarer geworden, wie wichtig der Austausch und Input durch Kunst und Kultur für eine Prägung der Gesellschaft sind. Wir sind bereit zu schaffen, lasst uns halt.
Der Kultursommer Wien findet von 3. Juli bis 15. August statt. Details zum Programm werden am 15. Juni bekanntgegeben. Die FM4-Clubkulturkolumnistin und Musikjournalistin Nadine Cobbina aka Die Zuckerlkettenfrau kuratiert die Programmschiene für elektronische Musik. Sie ist außerdem Teil des Gründungsteams der IG Club Kultur.