Die Macht der Bilder – Brigitte Weich im Interview zu »… ned, tassot, yossot … – Frauen, Fußball, Nordkorea«

Mit »… ned, tassot, yossot …« wirft Brigitte Weich einen weiteren Blick auf das Nordkorea jener vier (ehemaligen) Fuß­ballerinnen, von denen sie schon in ihrem ersten Dokumentar­film erzählt hat.

© Ri Filme / Judith Benedikt

2009 kam Brigitte Weichs Dokumentation »Hana, dul, sed …« ins Kino. Ein Film, der die Filme­macherin »quasi überrumpelt« hat, wie sie im Interview erzählt. Sie fokussierte darin auf vier nord­koreanische Frauen, die eine Leidenschaft teilen: das Fußball­spielen. Und die gemeinsam so manchen sportlichen Erfolg verbuchen konnten. Frauen­fußball und Nordkorea – diese beiden Themen ließen die studierte Juristin Weich nicht los: So kam es, dass sie den Prota­gonistinnen aus »Hana, dul, sed …« nun mit »… ned, tassot, yossot …« einen zweiten Film widmet. Dabei sei es ihr nicht darum gegangen, ihr eigenes Bild von Nordkorea zu vermitteln, wie sie sagt: »Ich wollte das Nordkorea sehen, das mir diese vier Frauen zeigen.«

2009 kam dein erster Film »Hana, dul, sed …« ins Kino, nun folgt mit »… ned, tassot, yossot …« dessen Nachfolger. Kannst du kurz skizzieren, wie du ursprünglich überhaupt auf die Themen Frauen­fußball und Nordkorea gekommen bist? Was hat dich daran fasziniert?

Brigitte Weich: Nordkorea war zuerst da, wobei sich mein Interesse zufällig ergab: 2002 besuchte ich ein Film­festival in Pjöngjang. Ich wusste zwar, dass es die letzte »Enklave« einer »real­sozialistischen« Gesellschaft ist, aber was ich dann dort vorfand, war so jenseits von allem, was ich je erlebt hatte, dass das wahrscheinlich einen »initialen Schock« auslöste.

Zum Frauenfußball kam ich auch sehr schnell: Ich vertrat einen österreichischen Fußball­film am Festival – »Frankreich, wir kommen!« von Michael Glawogger – und eine britische Crew stellte »The Game of Their Lives« vor, einen Film über Nord­koreas Männer­team des Jahres 1966. Das war eine mittlere Sensation. Es war die erste Produktion, die Nordkorea kooperativ mit einem westlichen Filmteam realisiert hatte und Pak Doo-ik, ein Volksheld, seit er mit seinem Tor damals Italien aus dem Bewerb und Nordkorea ins Viertelfinale geschossen hatte, war samt allen noch lebenden Team­mitgliedern anwesend.

So war viel von Fußball die Rede; eben auch von den nord­koreanischen Frauen, die damals erstmals Asien­meisterinnen geworden waren. Ich wollte unbedingt ein Spiel sehen – nicht wegen Fußball, für den hatte ich an sich null Interesse, und dass Frauen spielen, wusste ich gar nicht –, sondern weil ich in dieser kulissen­haften Propaganda­stadt Pjöngjang einmal etwas Echtes sehen wollte: Frauen, die gut Fußball spielen, und andere, die sich das anschauen gehen – das versprach so ein Fetzen echtes Leben zu sein.

Ein Dreh in einem Land wie Nordkorea ist sicher für viele Filme­macher*innen ungewöhnlich. Mit welchen Heraus­forderungen warst du konfrontiert?

Vorweg hätte ich vielleicht sagen sollen, dass ich keine Filme­macherin auf der Suche nach einem Thema war. »Hana, dul, sed …« war mein erster Film – und der hat mich quasi überrumpelt: Ich habe zwar, als ausgebildete Juristin, in der Kultur- und Film­branche gearbeitet, aber nie auf der kreativen Seite. Es war dann so, dass ich in Pjöngjang natürlich nicht einfach so ein Spiel sehen konnte, weil jedes spontane Abweichen vom vorgegebenen Führer­verehrungs­parcours undenkbar ist, woraufhin ich bei meiner Abreise sagte: »Über die Frauen sollte mal jemand einen Film machen, das würde mich interessieren.« Zurück in Wien, erreichte mich kurze Zeit später ein Fax, was denn nun mit unserem Projekt über die Fuß­ballerinnen sei und dass der Asian Cup in Bangkok bevorstünde, wo ich gleich einmal anfangen könnte.

Ich empfand das als tolle Chance und weil ich niemanden finden konnte, der mein Interesse teilte, fuhr ich schließlich selbst hin. Ab da war es um mich geschehen: Als ich die Spielerinnen aus Nordkorea zum ersten Mal sah, verliebte ich mich sofort in sie und ihren Sport. So ging es auch Judith Benedikt, der Kamera­frau, die damals schon dabei war. Nach den ca. zehn Tagen, die wir dem National­team der DVRK im Juni 2003 auf den Fersen waren und die mit dem neuerlichen Turnier­sieg für sie endeten, war klar: Das geben wir nicht mehr aus der Hand, das machen wir selbst.

Dass Nordkorea ein schwieriges Pflaster sein könnte, fiel mir in der heillosen Über­forderung gar nicht so richtig auf. Ich musste zunächst eine Produktions­firma gründen, weil ich auch keine der existierenden Firmen für das Projekt begeistern konnte; Förder­anträge schreiben; Kosten kalkulieren. Als Juristin war das zwar eher gewohntes Terrain für mich als das Künstlerische, aber es war natürlich trotzdem enorm zeit­aufwendig. Was die künstlerische Seite betrifft, war es schon sehr beängstigend, mir das zuzu­trauen. Ich habe aber das Gefühl, dass die strengen Restriktionen in Nordkorea geradezu eine Art Hilfe­stellung gegen den Anfänger*innen­fehler waren, alles zu drehen, was sich bewegt.

Brigitte Weich (Bild: Juho Liukkonen)

Hat das nordkoreanische Regime versucht, auf die beiden Filme Einfluss zu nehmen?

Ja und nein. Zunächst mal kann man sich als ausländische Person in Nordkorea sowieso nicht frei bewegen. Da gibt es also bereits eine riesige Einfluss­nahme, was überhaupt gesehen, geschweige denn abgebildet werden darf. Zudem muss ich sagen, dass wir durch das Film­projekt viel mehr zu Gesicht bekamen, als es ohne der Fall gewesen wäre. Nord­koreanische Menschen dürfen zum Beispiel ohne spezielle Bewilligung keinen Kontakt mit Aus­länder*innen haben. Eine weitere, sehr bald sehr augenfällige Einfluss­nahme war, dass alles, was du filmst, einwandfrei aussehen muss. Das betrifft ganz besonders die Führer und ihre Sprüche, also fast das gesamte Stadtbild, denn dieses ist voll mit Statuen, Abbildungen und Sprüchen der Führer. Sie müssen zentral abgebildet werden und dürfen nicht angeschnitten, verspiegelt oder verschattet, von Ober­leitungen durchkreuzt oder sonst irgendwie beeinträchtigt dargestellt werden.

Mich störte das nicht so sehr, weil ich ohnehin dieses inszenierte Pjöngjang zeigen wollte, das mich bei meiner ersten Reise so geschockt hat. Mühsam war es nur, wenn uns nach einem langen, anstrengenden, teuren Drehtag mitgeteilt wurde, was nicht passt – und das kam durchaus vor. Das gedrehte Material eines jeden Tages wurde in der Nacht von irgend­welchen Zensur­menschen komplett durchgeschaut. Ich sagte dann, dass das nicht gehe, woraufhin wir eine Zeit lang einen zusätzlichen »Kamera­mann« mit am Set hatten. Für mich war der eher wie ein Service­mensch. Aber für Judith war das schon sehr lästig, wenn er ihr »geholfen« hat, das Bild einzurichten. Oder ganz einfach mal mit dem Stativ verschwand, das er zu tragen angeboten hatte. Weg­genommen wurde uns allerdings nie etwas: Sie sagten, was ihnen nicht gefällt, ließen uns aber mit dem kompletten Material ausreisen.

Was die fertigen Filme betrifft, war das noch einmal eine andere Sache: Bei »Hana, dul, sed …« fuhr ich persönlich mit einer DVD des Rohschnitts nach Pjöngjang, weil – apropos Heraus­forderungen – auch das etwas war, das von Anfang an meine Albträume begleitete: Wie kann ich einen Film machen, der in beiden Welten funktioniert? Einen, mit dem Nord­korea leben kann, der aber auch »bei uns« nicht als Propaganda herüber­kommt? Am Ende gab es Stimmen, die meinten, der Film sei zu unkritisch. Andererseits mochte ihn das offizielle Nordkorea auch nicht – also hatte ich mich immerhin zwischen alle Stühle gesetzt. Oberste Priorität war es für mich jedenfalls immer, dass ich niemanden gefährde. Ich weiß nicht, ob das wirklich zu befürchten ist, aber man hört und liest so vieles und es wäre das Letzte, was ich in Kauf genommen hätte, dass irgend­jemand von denen, die mit uns vor oder hinter der Kamera an diesem Projekt gearbeitet hatten, Nachteile daraus hätte. Entsprechend schlimm war dann auch diese Sichtungs­reise, denn sie hatten eine Menge zu kritisieren. Das, woran mein Herz nicht hing, änderte ich.

Am Ende war das mit eine Motivation für »… ned, tassot, yossot …«, denn da »Hana, dul, sed …« in Nordkorea quasi verboten war, wollte ich einen Weg finden, wie die Spielerinnen ihn trotzdem in einer guten Projektion sehen könnten – und so habe ich in den Drehplan für »… ned, tassot, yossot …« eine Vorstellung von »Hana, dul, sed …« im schönsten Kino der Stadt hinein­geschrieben. Wir hatten tatsächlich die 35-Millimeter-Kopie im Gepäck, als wir zum Dreh fuhren. So kann man jetzt in »… ned, tassot, yossot …« sehen – auch wenn ich mir bis zuletzt darüber nicht sicher war –, dass den Prota­gonistinnen wie auch dem Publikum »Hana, dul, sed …« wirklich gut gefallen hat. Zensoren hin oder her.

Bei »… ned, tassot, yossot …« war es leider nicht möglich, ein Feedback der Betroffenen einzuholen, bevor der Film von irgend­jemand anderem gesehen wurde, weil Nordkorea als erstes Land bei Ausbruch von Corona die Grenzen dicht machte – also noch dichter als sonst – und nicht wieder auf. Eine Einreise ist seit Ende 2019 bis heute nicht möglich. Das liegt mir auch tatsächlich ein wenig im Magen.

Wie hast du den Alltag in Nordkorea erlebt? Sofern man ihn eben als Touristin erleben kann …

Die Bemerkung ist goldrichtig, denn genau der Alltag ist es, der mich interessierte. Also: Wie kann ein Leben unter den Bedingungen einer solchen totalitären Diktatur gelingen? Diese Frage reizte mich, weil ich (noch) einmal eine kommunistische Gesellschaft sehen wollte, weil ich selbst ja aus einer Diktatur stamme – ich habe die Nazi-Diktatur nur zufällig um ein paar Jahre »verpasst« – und in einem Land der durch sie Sozialisierten aufgewachsen bin und lebe. Und, ja, goldrichtig, genau das Alltäg­lichste ist es, was man am schwierigsten heraus­finden kann. Und was dazu komplett unter­schiedlich ist zu dem, was man aus den globalisierten, kapitalistischen Konsum­gesellschaften gewohnt ist und für »normal« erachtet.

Um ein Beispiel zu geben: In Nordkorea gibt es irgendwie kein Geldsystem. Also es gibt schon eine Währung, Scheine und Münzen. Aber die darfst du als ausländischer Mensch nicht besitzen. Du darfst auch nicht in ein Geschäft gehen – wenn es denn überhaupt welche gibt – und dort etwas kaufen. Du darfst nur in die speziellen Ausländer­geschäfte, und dort dann mit Devisen – in unserem Fall Euro – bezahlen. In diese Geschäfte darf wiederum die nord­koreanische Bevölkerung nicht. Die Leute bekommen die Dinge als Ration, wie das genau funktioniert und was das Geld dann doch für eine Rolle spielt, das weiß ich nicht. Aber zumindest ein Stück weit konnten wir in diesen nord­koreanischen Alltag hineinschauen, indem wir unseren Prota­gonistinnen gefolgt sind.

In »Hana, dul, sed …« erzählt Torfrau Ri Jong-hui über ihre neuen Heraus­forderungen als Studentin und Mutter einer kleinen Tochter, und dass ihre Mutter sie unterstützt, indem sie etwa den Einkauf erledigt. Das Geschäft, in das wir die Mama dann mit der Kamera begleiten durften, ist vielleicht das schönste der Stadt und nicht das, in das sie normaler­weise geht – wie gesagt: unmöglich, das heraus­zufinden. Aber immerhin lernen wir, dass dort kein Geld über den Tresen geht – geschweige denn eine Bankomat­karte. Die monatliche Abholung der Sojasoße, der Soja­bohnen­paste und der Eier wird stattdessen durch einen Stempel im »Kund*innen­buch« verzeichnet. Und wir erfahren, dass Ri Jong-hui als Sportlerin des Volkes einen Anspruch auf eine Extraration hat. Offenbar das Leistungs­belohnungs­system kommu­nistischer Prägung.

Oder die Kindeserziehung: Ich fragte mich, ab dem Zeitpunkt, als mein Fuß erstmals nord­koreanischen Boden berührte, wie Leute so werden können, wie die dort sind? Dass Kinder ja a priori anarchisch sind und vielleicht doch mal eine Zeitung zerknüllen, auf der der »Geliebte Führer« abgebildet ist? Wann und wie passiert es, dass es dann dieses ganze gleich­geschaltete Einvernehmen über die totale Verehrung der »Führer«-Familie gibt? Es war wieder Torfrau Ri Jong-hui, durch die wir das ein Stück weit miterleben konnten: Sie war die Erste aus dem Team, die schwanger wurde, und bei unserem Hauptdreh besuchte ihre Tochter So Jin dann gerade die Kinder­krippe. So kamen auch wir mit der Kamera dort hin. Diese kniehohen Mädchen in ihren kleinen bunten Tsogoris »beten« dort täglich die »Führer« an: Sie kommen in der Früh an einem Gemälde der beiden Kinder umsorgenden Führer vorbei, verbeugen und bedanken sich davor form­vollendet. In den Gruppenräumen hängt die ganze »heilige Familie« auf Kinder­augen­höhe und wird im »Geschichts­unterricht« durchgenommen, und in einem krippen­artigen Minimundus ist das Geburtshaus des »Großen Führers« Kim Il-sung nachgebildet – und tatsächlich, wenn ich mich im Zusammen­hang mit »Führer­dingen« in das mir an­sozialisierte Verhalten gegenüber religiösen Orten und Praxen hineinversetzte, lag ich am ehesten richtig.

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