Tanzen und singen, während um einen herum alles brennt: Das Linzer Lentos widmet Glam eine Ausstellung. Sie bietet weitaus mehr als das verstaubte Erbe von David Bowie und Roxy Music und vermeidet zu simple Schlüsse.
Die Beatles wären sicher nie nackt auf einer Abrissbirne geritten. Und doch haben sich bereits die relativ unschuldigen Pilzköpfe zu einem guten Teil über den Sex verkauft. Ob Justin Bieber’sche Jungmädchenträume oder viel nackte Haut – Pop und Sexyness bilden seit jeher ein untrennbares Gespann.
Das Lentos Kunstmuseum in Linz bringt jetzt eine große Ausstellung über Glam Rock. Ja, genau: Glam oder Glitter Rock. Diese funkelnde und schillernde Phase des Pop, in der Sex und Glamour maximaler waren als je zuvor. Allerdings ist das Maximum einer Parabel auch ihr Scheitelpunkt, wie Mathematiker und Trendforscher wissen. Pop muss überdrehen und überzeichnen, erzeugt aber eben auch Gegenreaktionen. Glam Rock wurde ebenso intensiv gefeiert wie gehasst.
In der Popkultur selbst haben Künstler wie Gossip, Lady Gaga und Co. das Erbe der Glam-Ära angetreten. Als Zitat taucht er aber an allen Ecken und Enden auf – und wenn es nur das Konterfei von David Bowie auf Modeartikeln ist. Grund genug also für eine Retrospektive. Auch, um der Beliebigkeit einen Riegel vorzuschieben: Es ist einfach, von Glam eine direkte Linie zu Lady Gaga zu ziehen oder so zu tun, als habe Ziggy Stardust die Queer-Theorie erst ermöglicht – zu simpel. Glam führt nicht automatisch zu Warhol, Foucault oder Butler, sondern genauso zu Slade – also »schlimmer Schunkelmusik auf glitzernden Plateauschuhen«, wie es die Kollegen vom Skug treffend ausgedrückt haben. Vorsicht ist also geboten. Auch im Lentos begnügt man sich nicht mit einfacher Welterklärung und denkt generell über Kulturwaren ebenso nach wie über die Geschichte des Genres.
Pop im Museum
Im Museumsbetrieb hat man die Attraktivität von Pop längst erkannt: Breitenwirksam verschaffte David Bowie diesen Sommer dem Victoria and Albert Museum in London Rekorde. Das Thema Bowie und die sozialen Unruhen in Großbritannien während seiner »Ziggy Stardust«-Tour besetzten auch einen Raum im britischen Biennale-Pavillon in Venedig. »Schere – Stein – Papier« überschrieb das Kunsthaus Graz 2009 eine Ausstellung, die Pop-Musik als Gegenstand bildender Kunst verhandelte. Ebenfalls 2009 setzte auch das Lentos mit »See this Sound« eine Ausstellung aufs Programm, die an der Scharnier zwischen bildender Kunst, Musik und Film Pop musealisierte.
Dem Museum als Ort für Popgeschichtsschreibung begegnete man lange mit Skepsis. Für all jene, für die Glam mehr ist als Roxy Musics »More Than This« und eine Best-Of-Bowie-Platte, verspricht der differenzierte Blick im Lentos erhellende Momente. Die Werke, Begleittexte und ergänzenden Vorträge leuchten Glam in seinen Facetten aus: Kunst, Mode, Lifestyle und Musik. Glam ist Bild und Ton, Fernsehen und Plattencover, Haare und Schminke, alles zugleich. Es macht die Barrieren zwischen Hochkultur und Unterschicht durchlässig.