In ihrem neuen Film »Ciao Chérie« setzt Nina Kusturica einen Call-Shop in Wien in Szene. Die Festnetztelefone läuten und die ProtagonistInnen ringen um Verständnis; es geht um Sehnsucht und Aufbruch, Angst und Hoffnung, das große Leben in den kleinen Gesten. The Gap hat die Filmemacherin zum Gespräch gebeten.
Ich sehe »Ciao Cherié« als einen durchaus melodischen Film. Natürlich stehen in erster Linie die Stimmen der ProtagonistInnen im Fokus, aber es gibt auch Szenen, in denen gesungen wird. Was war dir bei der musikalischen Gestaltung des Films wichtig?
Ayo Aloba singt in einigen Szenen ein nigerianisches Volkslied. Und zum Schluss ist dieses Lied als Filmmusik zu hören. Es war mir sehr wichtig, einen Film zu machen, in dem ich nicht eins zu eins etwas dokumentarisch betrachte, sondern in dem ich auch als Regisseurin zu sprechen komme – und das habe ich mitunter durch die Musik zu transportieren versucht.
Man befreit sich dadurch ebenso vom Zuhören. Im Film werden zehn Sprachen gesprochen, das ist natürlich super, aber es ist auch eine Herausforderung für das Ohr. Bei der Musik kommt man dann in die Melodie und auf eine andere Ebene. Das aktiviert andere Gehirnareale. Wir haben Musik gesucht, die zu den Figuren passt, und haben diese später eingesungen. Wir hatten also zuerst die Bilder – so etwas habe ich mir nicht vorher theoretisch überlegt. Auch die Filmmusik von den Wladigeroff-Brüdern entstand gegen Ende des Films bei einer Jam-Session. Für mich war es total schön und lustvoll, nach der dokumentarischen Arbeit an »Little Alien« hier eine nächste Ebene der Möglichkeiten auszuschöpfen.
Inwiefern siehst du »Ciao Cherié« auch als einen Versuch, mit dem Medium Film an sich zu spielen?
In Produktionsprozessen unterliegen wir so oft irgendwelchen Bewertungen im Sinne von: Wie lockt man die ZuseherInnen ins Kino? Wie erhält man Förderungen? Man muss die ganze Zeit begründen und Angebote machen. Ich habe mir bei diesem Film die Freiheit genommen, nicht Rücksicht zu nehmen auf diese Marktsituation, sondern ich habe den Film mehr als ein gesellschaftspolitisch-künstlerisches Projekt gesehen. Es war mir wichtig, dass in diesem Film Menschen vorkommen, die Teil unserer Gesellschaft sind, aber selten in den Medien repräsentiert werden.
In Wien leben 35 Prozent MigrantInnen, wir sehen ihre Geschichten jedoch nicht. Dabei war es mir aber ganz wichtig, keine Geschichte über das Thema Migration an sich zu machen. Ich wollte nicht sagen: Weil sie MigrantInnen sind, haben sie nur eine Geschichte, die des schweren MigrantInnenlebens, in dem sie keine Papiere haben, sondern ich wollte zeigen, dass es Menschen sind, die Dinge beschäftigen, die eigentlich alle beschäftigen. Ich sehe auch das Gefährliche an der aktuellen Diskussion zum Thema Migration: diese Aufspaltung in wir und die anderen. Es gibt da kein Sowohl-als-auch, keine Zwischentöne. Das war meine politische Lust bei der Arbeit, das zu vereinen, zu zeigen: Man kann sowohl als auch sein. Man kann Wiener sein, aber auch Afghane. Warum nicht?
»Ciao Cherié« stellt auch die Frage in den Raum, ob wir einander wirklich verstehen können. Denkst du, wir können es?
Ich habe mich wirklich viel mit dem Thema beschäftigt und meine Erkenntnis, die sich auch im Film zeigt, ist: Es geht sich manchmal aus. Aber in Wirklichkeit sind wir alle Inseln, und wenn wir kurz zusammenkommen, dann ist das etwas Magisches, etwas Schönes. Das macht das Leben lebenswert. Aber durchgehend bewältigen wir das Einssein zu zweit sehr schwer. Das gehört zu den Widersprüchlichkeiten unseres Lebens.
Siehst du dann dementsprechend den Film als eher hoffnungsvoll oder melancholisch?
Der Begriff »Ciao Chérie« trägt eine Sehnsucht und Melancholie in sich, aber ich glaube, dass die Hoffnung auch darin liegt, die Situation zu erkennen und klar einzuschätzen. Bei ein paar Figuren geht es darum, zu erkennen, dass das Alte nicht mehr gilt. Das kann auch sehr befreiend sein. Sich nicht verabschieden zu wollen, nur weil man irgendeiner Idee nachtrauert – ein Abschied ist nicht nur etwas Melancholisches, sondern auch eine Befreiung. In »Ciao Chérie« geht es um das Abschiednehmen von der Heimat, von einer Person oder von einem anderen Lebenskonzept.
Das Thema Abschiednehmen von der Heimat hat sich für mich bei der Arbeit immer klarer herauskristallisiert, da es meiner Ansicht nach auch ein Tabuthema ist. Bei der Diskussion über MigrantInnen wird oft so getan, als beginne ihr Leben erst mit der Auswanderung, als hätten sie keine Vergangenheit. Woher man kommt, das ist wie ein Geist, den man mit sich trägt. Ich selbst habe auch lange gebraucht, um diesem Geist in die Augen zu schauen. Es ist dann schon eine große Sache zu sagen: Ciao, ich bin jetzt hier.
Welche anderen Formen von medialer und kultureller Repräsentation von MigrantInnen würdest du dir wünschen?
Ich würde mir in jeder Hinsicht eine andere Form von Repräsentation wünschen, da die Kulturszene noch immer sehr exklusiv ist und größtenteils Menschen einer privilegierten Schicht involviert sind. Wenn diese dann etwa von MigrantInnen erzählen, dann sind es eben ihre Blicke – selbst, wenn diese handwerklich hervorragend gemacht sind. Es geht um Repräsentation und darum, dass die SteuerzahlerInnen Kunst ja auch bezahlen, daher sollte diese unsere Gesellschaft in irgendeiner Form widerspiegeln. Das heißt nicht, dass wir nicht Shakespeare spielen können. Aber wir müssen uns die Frage stellen: Wer ist auf diesen Bühnen? Wer darf über wen erzählen? Es heißt ja immer, dass die Stadt Initiativen habe, um Kunst an die Stadtränder zu bringen, aber ich frage mich: Warum bringen sie nicht die Stadtränder ins Burgtheater?
Welche konkreten Schritte wären da wohl notwendig?
Das muss von der Kulturpolitik gewollt werden. Es braucht eine Kulturpolitik, die klare Maßnahmen und Ideen hat und die im ständigen Austausch mit KünstlerInnen steht. Es muss zum Thema gemacht werden – genau wie Gender-Mainstreaming oder Diversity-Management. Da muss es eine Agenda geben. Ich denke, dass wir da noch hinterherhinken. Wir haben nicht einmal so etwas wie das Maxim-Gorki-Theater in Berlin, in dem es ganz normal ist, dass die SchauspielerInnen aus der ganzen Welt kommen und auf den Bühnen viele verschiedene Sprachen gesprochen werden. Ich finde, bei uns ist dieses Thema noch unterrepräsentiert. Ich habe auch das Gefühl, dass es ein Tabuthema ist, es beginnen dann immer schnell Diskussionen über Qualität.
Welche Projekte stehen bei dir demnächst an?
Filmisch bin ich an einem neuen Stoff dran, den ich gerade schreibe. Aktuell komme ich zudem von den Proben zum Theaterstück »Erschlagt die Armen!« , das ich nach einer Romanvorlage von Shumona Sinha im Werk X inszeniere. Es ist eine österreichische Uraufführung, die am 13. Dezember Premiere hat. Es geht um eine Übersetzerin am Asylamt in Paris, um die Menschen, die Asyl beantragen, und das System, das von ihnen verlangt, ihre Geschichte aufzugeben, um eben Asyl zu erhalten. Es geht also um die Begegnung dieser Menschen mit einem technokratischen System.
Werden Regie sowie Buch weiterhin deine kreativen Schwerpunkte bleiben oder willst du dich auch in anderen Bereichen ausprobieren?
Regie im Theater oder im Film – das ist und bleibt mein Traum. Je nach Stoff schreibe ich auch gerne oder gestalte den Inhalt dramaturgisch oder konzeptuell mit. Ebenso unterrichte ich sehr gerne – dieses Jahr etwa an der Kunstuni Graz. Und an der Wiener Filmakademie arbeite ich an einem Forschungsprojekt mit, das sich an der Grenze zwischen Dokumentar- und Spielfilm bewegt. Darauf freue ich mich besonders. Unterrichten bereitet mir große Freude, da es mich dazu bringt, meine eigene Arbeit zu reflektieren, und ich auch von den Studierenden Feedback erhalten kann.
Welche Botschaft(en) möchtest du als Filmemacherin der Nachwelt hinterlassen?
Ich überprüfe gerne Verhältnisse und thematisiere diese, um zu spiegeln, was in der Welt geschieht, und eventuelle Veränderungen möglich zu machen. Mit meinen Filmen möchte ich mitunter zeigen, dass wir alle in gewisser Weise gleich sind.
»Ciao Chérie« von Nina Kusturica ist seit 19. Oktober 2018 in den österreichischen Kinos zu sehen.