You're from the 70s but I'm a 90s bitch

Pop befindet sich mitten in einem exorbitanten 90er-House-Revival. Das bringt viele gesichtslose DJ-Acts hervor, aber eben auch Kiesza.

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Wir erinnern uns: In den vergangenen Jahren erlebte die Welt, die wir Pop nennen, die Wiederauferstehung von Disco, feierte die Rückkehr von 80er-Synths, durchlitt einen kurzzeitigen Motown-Hype und klammerte sich an nölende Saxophone. Das war nicht immer schön, vor allem weil es am Ende dann meist irgendwie zu EDM wurde oder sich zumindest so nannte. Mit dem bevorstehenden Trend kann man sich jedoch ziemlich leicht anfreunden.

UK knows best

Jetzt bekommen also die großen Eurodance- und Deep House-Nummern der 90er endlich ihr verdientes Mainstream-Comeback. Sogar jemand wie Katy Perry hat auf ihrem Album einen Eurotrash-Ausfall, der zwar ganz witzig aber halt ein bisschen zu sehr gewollt wirkt. Groß gemacht wurde der Trend im UK, wo bereits seit Monaten immer wieder unbekannte Dance-Acts die oberen Chartplätze für sich beanspruchen. Klassiker wie "Show Me Love" von Robin S oder Galas "Freed From Desire" scheinen vermehrt Patenschaften für die bisherigen Hits des Jahres übernommen zu haben und mal ehrlich – da kann man sich deutlich Schlimmeres vorstellen. Eigentlich ist der Zeitpunkt sogar genau richtig für ein zweites, drittes und viertes "Show Me Love".

Der MK-Remix von Storm Queens "Look Right Through" konnte bereits Ende 2013 wie aus dem Nichts die britische Pole-Position übernehmen, ebenso wie es dann im März der Newcomer Route 94 mit "My Love" inklusive Wärmebildkamera-Video und Vocals von Jess Glynne geschafft hat. Letztere hat dabei übrigens nicht nur Clean Bandit, sondern auch sich selbst vom Chartthron gestoßen ("Rather Be"). Nachgemacht haben ihnen das dann Secondcity mit "I Wanna Feel" und erst kürzlich "Gecko (Overdrive)" von Oliver Heldens und Becky Hill. Das Duo Gorgon City holte sich für "Ready For Your Love" den großartigen MNEK ins Boot und reiht sich problemlos in die Schlange der minimalistisch gehaltenen 90er-Renaissance-Ritter ein. Und dann gibt es da halt Kiesza.

Katy B auf kanadisch

Kiesza ist so was wie eine kanadische Katy B, nur anders. Ausgesprochen wird sie übrigens nicht Kiescha oder Kehsa, sondern Kaisah. So imperial wie ihr Name klingt, sehen auch ihre Tanzschritte aus. "Hideaway" avancierte nicht zuletzt dank einer Granate von einem One-Cut-Video zu einem der größten Überraschungserfolge 2014 und fand auch innerhalb Kontinentaleuropas Beachtung. Vollkommen zu Recht. Ein Song, dessen Chorus aus "uh" und "ah" besteht, verdient das irgendwie.

Und weil die Kuh gemolken werden muss solange sie Milch gibt, wurde auch gleich eine zweite Single plus Video veröffentlicht. Das würden wir zwar gerne "Der Kieszas neue Kleider" nennen, es heißt aber leider schon "Giant In My Heart". Die Kleider darin trägt ein afroamerikanischer Mann mittleren Alters und er sieht fabelhaft aus. Der Track folgt stilistisch demselben 90er-Schema wie sein Vorgänger, es macht trotzdem irgendwie Sinn und stimmlich gesehen hat Kiesza auch viel drauf. Bevor sie sich dazu entschlossen hat, Popstar zu werden, war sie übrigens Soldatin bei der Marine. Richtige Entscheidung.

Moko kommt

Bis der Trend vollständig von der Insel zu uns rüberschwappt, kann es also noch dauern. Währenddessen stehen Künstler wie Little Nikki oder Moko bereits in den Startlöchern, welche mit "Right Before My Eyes" und "Your Love" wohl die nächsten UK-Hits in den Händen halten. Vor allem letzterer klingt wirklich richtig gut und es tut uns jetzt schon leid, dass wir in absehbarer Zukunft einen durch den Hype verursachten 90er-Overkill durchleiden und uns anschließend ordentlich darüber auslassen werden. Bis dahin genießen wir dieses grundsätzlich sehr schöne Revival, und fürchten uns vor dem Tag, an dem "Happy Hardcore" einen zweiten Frühling erlebt und Scooter wiederkommen. Weg waren sie eh nie. Aber möchte jemand wirklich das alte Viva-Programm wiederhaben? Eben.

Bild(er) © Lokal Legend, Atlantic Records, Rinse, Black Butter, Virgin/EMI, Eleanor
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