Real Deal – "Behördlich genehmigtes Festival für falsche Zustellungen" klingt vielleicht weniger zugänglich als "Donauinselfest", aber eben auch spannender. Bis Anfang Juli gibt es an drei Wochenenden die Möglichkeit, Dinge zu erleben, die nicht alltäglich sind. Mit hochkarätigem Programm, einem Festivalzentrum in der Peripherie und ziemlich vielen Überraschungen. Wir sprachen mit Teilen des Kuratorenteams über das Projekt.
Leute, die einen Aufschrei tun, wenn sie für Kultur in den zehnten Wiener Gemeindebezirk fahren müssen, sollten hier vielleicht nicht weiterlesen. Der Text und das darauf folgende Interview richtet sich aber ohnehin eher an die Neigungsgruppe Donaufestival. Und wer es schafft, den Pop:sch hochzukriegen und nach Krems zu fahren, schafft es doch bitte auch bitte an den Hafen. Wetter ist eh schön. Dort in der Laxenburgerstraße 2a wird in diesen Minuten noch gemütlich aufgebaut; das "Festivalzentrum" des Real Deal befindet sich dort und wird an drei Wochenenden bis Anfang Juli bespielt. "Festivalzentrum" unter Anführungszeichen, weil die 50 teilnehmende KünstlerInnen sich in Interventionen, Performances, Musik und Workshops dem Peripherie-Begriff widmen. Es geht also um politische, kulturelle, gesellschaftliche Randphänomene. Wer glaubt, er sollte jetzt doch noch schnell im eigenen Buchregal "Andere Räume" von Foucault suchen, sei beruhigt. Das Line-Up verspricht göttliches Entertainment und ob man das Ganze zerdenken will, oder sich einfach rausch-haft darauf einlässt, ist jedem selbst überlassen. Spannend ist es auf alle Fälle. Zebra Katz, Aisha Devi, Vessel, Rashad Becker, die guten Menschen von Bliss, die schon erwähnten Pop:sch, Angel Ho, Fauna – alle da und noch viel mehr. Wir sprachen mit einem Teil des Kuratorenteams, Simon Steinhauser und Johannes Maile (God’s Entertainment), über Randphänomene und Schmissautomaten.
God’s Entertainment und viele der beteiligten Personen und Positionen beim Real Deal beschäftigen sich ja schon seit langem mit "Randthemen", also Dingen, die sich an inhaltlichen wie räumlichen Peripherien abspielen. Wie kam es dazu, das in die Form eines Festivals zu gießen, zumal das Real Deal ja auch die normale Form des Festivals aufbricht?
Johannes Maile: Real Deal als Festival gab es ja schon einmal Ende 2014 im WUK. Für die diesjährige Ausgabe haben wir immer wieder Ideen und Konzepte ent- bzw. verworfen oder weiter entwickelt. Festivals sind großartige Formate, um in all der damit verbundenen Kleinteiligkeit den Fokus auf ein bestimmtes Thema zu richten. Die spannendsten Dinge, egal ob in der Kunst oder auf anderen Gebieten, entstehen erst mal an den Rändern und außerhalb der Wahrnehmung der breiten Masse. Die sich das dann natürlich immer gerne einverleibt, vorwiegend in einer profitorientierten Logik. In ihrem Buch Konsumrebellen beschreiben Joseph Heath und Andrew Potter ja die Protagonist*innen einer vermeintlichen Gegenkultur als Trüffelschweine des Kapitalismus. So folgt auf die Backpacker der Massentourismus. Trendscouts von Markengiganten lassen sich bei Underground Raves inspirieren. Oder die immer massivere Gentrifizierungsschleife. Entdecken. Übernehmen. Verdrängen. Und die Entdeckten, Übernommen, Verdrängten machen sich dann wieder auf die Suche.
Simon Steinhauser: Durch die Shift-Ausschreibung der Kulturabteilung und schließlich der zugesagten finanziellen Unterstützung hatten wir die Möglichkeit etwas in einem Rahmen – Performances in der Stadt / am Gelände / Musik / bildende Kunst / etc. – so zu präsentieren. Ohne diese Unterstützung wäre es schwierig, ein dermaßen umfangreiches Programm zu gestalten. Ein Festival bietet eine schöne Möglichkeit viel Verschiedenes zuzulassen.
Dezentralisierung ist ein großes Thema in zahlreichen Werken der sog. Postmoderne. Sprich: die Idee sich Themen quasi von außen und nicht von innen anzunähern, ist keine neue, die Ränder – und deren Themen als solche – verändern sich aber natürlich. Was sind denn für euch gerade diese "Randthemen", mit denen sich das Real Deal und ihr euch beschäftigt?
Johannes Maile: Die Frage nach den Rändern setzt immer die Annahme eines Zentrums voraus, eines Standpunkts von wo aus man sich in Bezug auf seine Umgebung verortet. Da bin ich / da sind wir – und da sind die anderen. Und die Zuschreibung dieses anderen ist niemals unschuldig. Insofern geht es eigentlich nicht um konkrete Randthemen, sondern eher um die Fragen nach der Konstruktion von Perspektive und den damit verbundenen Interessen, die natürlich oft politisch, bzw. ökonomisch motiviert sind.
Simon Steinhauser: Ein südamerikanisches Schulkind findet Europa irgendwo am rechten Rand der Landkarte. Für uns sind die Hackler im elften Bezirk die Freaks, für die Hackler im elften Bezirk sind wir die Freaks. Zentrum und Peripherie kann sich überall berühren – räumlich, gesellschaftlich, sozial, etc. Interessant wird es, wenn diese zwei Ebenen aufeinandertreffen. Das versuchen wir.
Einerseits demonstrieren die Identitären auf Wiens Straßen, andererseits traut sich dann ein gratis und von der Stadt finanziertes Festival wie das Electric Spring durchaus auch KünstlerInnen zu präsentieren, die so gar nicht dem Mainstream entsprechen (teilweise finden sich diese auch bei Real Deal). Wie sieht es denn eurer Einschätzung nach mit den vielzitierten Gräben aus und sieht sich Real Deal auf einer bestimmten "Seite" oder überhaupt ganz im selbstgewählten (?) "Aus"?
Johannes Maile: Ich seh da eigentlich nicht wirklich einen Widerspruch. Und Mainstream sind die Identitären auch nicht. Auffällig ist, wie gezielt die Identitären Strategien und Taktiken, die man eher linken Aktivist*innen zuschreiben würde, übernommen haben und anwenden. Wobei der Umgang der Medien und der Exekutive mit den Identitären im besten Fall verharmlosend ist. Wenn man das zum Beispiel mit der Vehemenz und Härte vergleicht, mit denen gegen die Tierschützer vor Jahren vorgegangen wurde, ist das ein schlechter Witz.
Simon Steinhauser: Es ist ein Zeichen der Zeit, dass alles immer mehr auseinander driftet. Reiche reicher, Grenzen dichter, etc. Real Deal soll schon noch so ein verbindendes Element sein, das Berührung schafft.
Trotz Fokus auf Dingen, die eben sonst oft keinen Platz "im Zentrum" haben, habe ich dennoch das Gefühl, dass es auch bei Randthemen eine gewisse Bildung von Kodizes gibt, man also immer wieder auf dieselben AkteurInnen stößt. Könnt ihr das bestätigen?
Johannes Maile: Codes, Regeln, Zwänge gibt es eh überall. In der Subkultur genauso wie im Mainstream. Es ist wahrscheinlich einfach wichtig, sich immer wieder selbst zu hinterfragen, oder sich gewisse Dinge immer wieder bewusst zu machen, wie zum Beispiel die Privilegien oder Umstände, die mit einem bestimmten Pass, einer Hautfarbe oder einer sexuellen Orientierung verbunden sind. Es gibt ja auch kein Naturgesetz, dass Minderheiten grundsätzlicher empathischer für andere Randgruppen sind als der Mainstream.
Wie wichtig ist euch Provokation?
Johannes Maile: Über die Art von Provokation die hier vermutlich gemeint ist, also bewusst Leuten vor den Kopf zu stoßen, denk ich eigentlich nicht viel nach. Provokation im eigentlichen Wortsinn, also das Hervorrufen und Erzeugen von Etwas wie einer Atmosphäre, einer Idee, einem Raum, einem Widerstand, ist mir schon wichtig. Ist vielleicht ein banales Statement, aber Kunst will das doch eigentlich immer.
Simon Steinhauser: Provokation in einem stimmigen Verhältnis ist ok, weil sie zum Nachdenken anregt. Alles was darüber hinausgeht ist Effekthascherei auf was man verzichten kann.
Der Schmissautomat im Programm springt einem gleich ins Auge. Könnt ihr uns das Konzept dahinter erklären?
Johannes Maile: Der Schmissautomat ermöglicht einen Schnellcheck, in wie weit der/diejenige schmisstauglich ist, und die eigene politische Haltung mit dem Wertekanon der Burschenschaften abgleichen kann. Was bei der aktuellen politischen Entwicklung in Österreich und Resteuropa in Hinblick auf Karriere, Wohlstand und Sicherheit natürlich nützlich sein könnte.
Simon Steinhauser: Der Schmissautomat ist bis zu einem gewissen Grad auch eine Wahlkabine. Man hat die Wahl etwas zu unterstützen und für richtig zu finden – oder eben auch nicht. Nur das Aufhören ist schwieriger. Gerade Österreich ist ein Mekka für ideologische Schmisse. Allein politisch gesehen hat es wohl nur in Libyen, oder dem Irak in den letzten Jahren mehr Seitenwechsel gegeben um weiter im Amt zu bleiben. Von Stenzl bis Team Stronach, jede Partei war da involviert.
Welcher Programmpunkt hat euch als Kuratoren das meiste Kopfzerbrechen bereitet?
Johannes Maile: Strom. Notausgänge. Toiletten.
Real Deal beschäftigt sich ja mit unterschiedlichsten Ausformungen von Peripherie. Gibt es denn etwas, was euch gefällt, das so richtig mainstreaming ist?
Johannes Maile: Jede Menge. Ist ja auch nicht so, dass gutes Zeug immer nur wenige Leute ansprechen muss.
Ihr widmet euch dem Unvorhersehbaren. Was war denn das Unvorhersehbarste, was euch jemals passiert ist.
Johannes Maile: Life.
Simon Steinhauser: Die Polizisten kommen nicht wegen der Lautstärke sondern weil ihnen die Musik gefällt.
Alle Infos zum Real Deal findet ihr hier auf Facebook, oder hier auf der Website von God’s Entertainment.