Ulrich Seidl steigt in seinem neuen Dokumentarfilm wieder in die Tiefen der menschlichen Seele und findet sich im Keller wieder. Ein Meisterwerk.
Verborgene Abgründe der menschlichen Seele entfaltet Ulrich Seidl seit Anbeginn seines Filmschaffens. Dass diese nicht nur zu ebener Erde zu finden sind, vermag er nun mit seinem neuen Dokumentarfilm "Im Keller" zu zeigen. Scheinbar verlebte Leben leben hier auf, wo für die meisten nicht mehr viel zu existieren und die Häuslichkeit an ihre heimeligen Grenzen zu stoßen scheint. Und dennoch kennt jeder irgendwen, der zumindest irgendeinen kennt, der im Keller nicht nur Ramsch deponiert, sondern auch zu unterschiedlichen Zwecken nutzt. Jugend-, Wasch-, Fitness-, Party-, Probe-, Waffendepotkeller – die Palette ist lang und die Fantasie grenzenlos, wenn es um die Nutzbarmachung eines Raums im wahrhaftigen Schattendasein geht.
Dass das auch teuer kommen kann, wird im Film am Kellerstüberl mit klassischer Einrichtung vorgerechnet. Zwischen diesen erzählen – oder zeigen vielmehr – eine Handvoll Menschen im seidl’schen Fokus welche Leiche im Keller bei ihnen verborgen ist. Die Leiche nennt sich Sehnsucht, die es hier behaglich hat und gelindert wird. Einer von ihnen, ein älterer Herr, betreibt einen Schießkeller und schmettert Opernarien zwischen routiniert-gelangweilter Schießübung am Stand und seinen Lehreinheiten, wo er wissen lässt, dass der Finger, ja der Finger, das Gefährlichste ist. Denn viele halten den Finger von Anfang an am Abzug der geladenen Waffe und da passieren Kurzschlüsse – die tödlichen im gezielten Fall. Sänger wäre er gern geworden, er habe ja ein strahlendes hohes C, aber es kam dann doch anders. Und so ist es auch gut. Belehren lässt er sich denn auch nicht bei der Diskussion über die Ausländer und vor allem der geschichtlichen Entwicklungen, denn er habe ja in Geschichte damals maturiert, mein lieber Freund.
Blasmusiker und Ehesklaven
Den klassischen Blasmusiker am Land, den Josef, gibt es auch. Die Frau lebt in der oberen Etage und er hat sein Untergeschoss inklusive NS-Devotionalienraum. Am liebsten bläst er die Tuba, auch die Trompete, und sauft. Gern und oft. Da unten ist er keinem was schuldig – schon gar nicht Rechenschaft. So geht es auch der Frau mit Ehesklaven, die sich zu helfen weiß, geht einmal das Toilettenpapier aus. Es ist ihr Schwanz, es sind ihre Hoden, es ist ihr Sklavenkörper. Das weiß auch er. "Ja, meine Herrin", sagt er – offensichtlich gern. Es ist Liebe – oder so ähnlich. Und da gibt es noch ein paar andere die erzählen oder einen einfach nur anschauen und sich anschauen lassen, während beispielsweise Gus Backus aus der Stereoanlage in der Kellerbar singt.
Nur eine, die erzählt nicht in die Kamera, die steigt mehrmals am Tag die blassen Stufen hinab, um Emmi und die anderen Kleinen zu wiegen und ihnen Papas Keller zu zeigen, wo er immer viel zu tun hat und wo die Karte hängt mit den Stecknadeln seiner Reisedestinationen dran. Sie muss auch nicht viel erzählen, denn wie bei allen anderen, sind es die Begehrlichkeit des so stumm wünschenden Herzens, die sich hier zeigen, die an diesem Ort begraben scheinen, aber eben hier gelebt sein dürfen.
"Im Keller" läuft am 26. September in österreichischen Kinos an. Premiere ist beim Slash Filmfestival am Donnerstag, 19. September.