Was ist eigentlich diese Post-Ironie und warum kann man ihretwegen mit Ehrlichkeit Geld verdienen? Ein Erklärungsversuch.
Bieber-Songs und "Call Me Maybe". "I just met you, this is crazy" – natürlich grölt man mit nach dem dritten Bier, mit den ebenso zynischen Freunden in der Großraum-Disco, weil es eben lustig ist. Zu Hause hängt vielleicht ein Poster von Justin Timberlake aus den 90ern wegen der grauenhaften Frisur. "Candy Crush Saga" spielt man, so aus Spaß am Blöden. Man kennt das. Aber irgendwann findet man "Call Me Maybe" dann doch super, ehrlich super, verwendet lol wieder als völlig ernstgemeinte Beifallsbekundung und man hat sich eingestanden, dass "Baby" ein richtig gutes Lied ist. Bei "Candy Crush" ist man jetzt auch schon auf Level 530. Die ironische Begeisterung für das, was einem früher als Trash galt oder man richtig mies fand, ist zu echter Begeisterung geworden. Verkehrte Welt. Post-Ironie, voilà.
Zumindest trifft dieses plakative Beispiel am ehesten, was Urban Dictionary, Ansprechpartner für alle popkulturell-sprachlichen Belange des Lebens 2.0, unter "post-ironic" versteht. 83 Däumchen zeigen für die Definition nach oben, gar nicht so viel, der Eintrag erfolgte schon 2010 – es schaut also nicht so aus, als wäre ein neues Zeitalter der Post-Ironie eingeläutet worden, als müsste man diesem Phänomen, so es denn eines ist, besondere Beachtung schenken. Nichts verpasst.
Jetzt komm das "aber"
Aber vielleicht haben wir ja doch etwas verpasst: Sieht man sich nämlich "Künstler" wie die "Rapper" Kitty Pryde oder Yung Lean an, fällt auf, wie schwer es fällt, sie einzuordnen. Oder überhaupt damit klar zu kommen. Das hat ausnahmsweise nichts mit der berühmten Genregrenze zu tun, sondern eher mit der beliebten Frage, wie "authentisch" das jetzt ist. Die Anführungszeichen sagen schon alles: Man ist sich nämlich nicht so sicher, was Pryde und Lean da tun, was sie sind, was sie sein wollen und ob das eigentlich ihr – genau – Ernst ist. Antwort gibt es keine. Mit der Urban Dictionary-Definition im Hinterkopf kann man sich das aber ganz gut vorstellen, dass das zwei junge Menschen sind, die sich Gangsta-Rap angehört haben, das irgendwie witzig fanden, imitiert, adaptiert und dann ernst gemeint haben, daraus aufrichtig ihr eigenes Ding gemacht haben.
Aufrichtigkeit
Das Schlagwort Aufrichtigkeit führt zu einer zweiten, schwierigeren und anderen Variante von Post-Ironie. Dort spricht man eher vom Ende der Ironie und damit von einer Rückkehr zur Ehrlichkeit oder besser Aufrichtigkeit. Bei ihr geht es nicht darum, aus einer zynischen Haltung heraus ein ehrliches Interesse an etwas zu entwickeln – sondern ganz im Gegenteil, sich ganz gegen diese zynische Art der Ironie zu stellen. Post-Ironie meint hier das Ende von Ironie und die Rückbesinnung auf Ehrlichkeit. Sie wird auch gerne mit "New Sincerity" gleichgesetzt – einem Begriff, der von Musik bis zu Philosophie schon seit den 80ern in allerlei Bedeutungsfacetten herumgeistert, in jüngerer Zeit auf Musiker wie Conor Oberst und Cat Power oder Regisseure wie Sofia Coppola und Aki Kaurismäki angewendet wurde – der also durchaus flexibel verwendet wird und schön vermarktbar klingt. Jetzt gerade gilt der junge Autor Tao Lin, dessen Schlüsselroman "Taipei" gerade ins Deutsche übersetzt wurde, als Posterboy der New Sincerity-Bewegung.
Post-Ironie in der Bedeutung "Ende der Ironie" wird gern mit einer Passage aus "E Unibus Pluram", einem 1993 erschienenem Aufsatz von David Foster Wallace in Zusammenhang gebracht. Dort skizziert Wallace, wie er sich eine neue Generation US-amerikanischer Autoren vorstellt: Literaten, die die Welt wieder ernst nehmen und normale alltägliche Dinge beschreiben. Die einen Schlussstrich unter den hippen, narzisstischen Selbstekel setzen. Autoren, die dadurch rebellisch sein werden, dass sie keinen Schock provozieren, sondern bei ihren Lesern ein Gähnen und Augenrollen hervorrufen. Autoren, die dermaßen too sincere sind, dass sie Opfer des Spotts ironischer Kritiker werden. Kein Wunder, dass einige Stimmen diese "Prophezeiung" genau 20 Jahre später mit Lins "Tapei" erfüllt sehen. Passagen wie die folgende lassen das leicht glauben: Als der Hauptcharakter Paul einem Freund von seiner Begeisterung für die Band Rilo Kiley erzählt, glaubt sein Freund, dass es sich um einen Witz handle. Worauf Lin über seinen Protagonisten schreibt: "Paul said he wouldn’t pretend he liked something, or make fun of liking something, or like something ironically."
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