Kendrick Lamar erzählt auf seinem Major-Debüt "Good Kid m.A.A.d City" seine ganz persönliche Geschichte. Exzellente Produktion, hervorragende Rapskills und ein kosequentes Ja zum Leben machen es zu einem modernen Klassiker des Hip Hop.
Jeder Mensch hat irgendeine Geschichte zu erzählen. Manche bevorzugen fremde Geschichten, manche extrem persönliche. Manche nutzen die Außenansicht, andere die Ich-Perspektive. Geschichten können langweilig, lustig, interessant oder völlig sinnlos sein. Aber eines haben alle guten Geschichten gemeinsam: Der Zuhörer muss einen Bezug zur Story finden.
Letztes Jahr erschien »Section 80«, das Debüt des US-Rapper Kendrick Lamar. Das Album war, trotz zwei, drei eher schwachen Nummern, außergewöhnlich gut, vor allem in Punkto Lyrics und Rapskills. Lamar verwandelte darauf Eindrücke vom Leben und Aufwachsen in Compton in kunstvoll gestrickte Stories, blieb aber immer in der Außenperspektive. Man erfuhr wenig von Kendrick selbst, viel mehr über seine Generation – Eine Generation der 80er, mit den Protagonisten Tammy und Keisha, um die herum er eine Story baute.
Auch auf Kendrick Lamars neuem Album »Good Kid m.A.A.d City« (wobei m.A.A.d. ein Akronym für "my angry adolescence divided") geht es um Compton, einen Stadtteil von L.A., dem N.W.A. schon früh ein musikalisches Denkmal setzten und die noch heute ein Synonym für West Coast-Rap ist. Was sich geändert hat ist die Perspektive. Hier geht es um Kendrick, den Blick in sein Inneres, Aufwachsen in Compton und einer unglaublich ehrlichen und offenen Anerkennung seiner Ängste, Probleme und Schwächen. Allein diese Offenheit ist ungewöhnlich. Doch bei Kendrick kommt dazu, dass er wahrscheinlich der talentierteste MC seiner Generation ist. Er verbindet das Storytelling von Nas, das Spiel mit Metaphern von 2Pac mit den Double-Time Raps von E-40 und dem makellosen “Flowswitch” von Andre 3000.
Eine Geschichte, die jeder versteht
Der Ablauf der Story ist zweigeteilt und mehr »Boyz n the Hood« als »Menace II Society«: Kendrick ist der eigentlich gute Junge, der in einer verrückten Stadt aufwächst, wo der Junge eine leichte Beute ist. Der amüsante erste Teil, wo er mit seinen Jungs im Auto seiner Mutter herum streift, beim Sex zu früh kommt und ihn sein Vater ihn wegen einer Domino’s Pizza Bestellung nervt, endet mit dem Track „Good Kid“. Der deutlich düsterere zweite Teil wird mit »m.A.A.d city« von Comptons Most Wanted MC Eiht eingeleitet und handelt von Alkoholismus und Abhängigkeit, der Angst vor und ums Leben und dem Mangel an Selbstwertgefühl. Die Art zu erzählen erinnert an Scarfaces »Mr. Scarface Is Back« und Biggies Debüt »Ready To Die«. Doch während bei beiden Alben am Ende der Selbstmord stand, bleibt Kendrick beim deutlichen Ja zum Leben.
Auch abseits dieser authentischen Innenansicht bietet »Good Kid m.A.A.d City« einiges. Eine gute Geschichte, großartige Lyrics und Features, mit »Swimming Pools« einen absoluten Sommerhit und, trotz zwölf verschiedenen Producern, eine kohärenten Produktion. Vor allem die Komposition ist bemerkenswert: Jede Nummer ergibt erst im Zusammenhang mit der vorherigen und nachkommenden Nummer wirklich Sinn. Das macht das Album zu einem modernen Klassiker des Hip Hop, zum wahrscheinlich ersten grenzüberschreitenden Rap Album dieses Jahrzents. So wie eben »Illmatic« von Nas, »The Chronic« von Dr. Dre und »36 Chambers« von Wu-Tang Grenzen überschritten. Es waren Alben, die man als Rapfan einfach nicht schlecht finden konnte. Nicht umsonst feiern “Rapideologen” verschiedenster Richtungen – unter anderem 50 Cent, Drake und Flying Lotus – das Album bei jeder Gelegenheit.
Kendrick Lamar hat es geschafft, eine Geschichte zu erzählen, die jeder nachvollziehen kann. Vom Aufwachsen, Älterwerden und irgendwie-doch-nicht-ganz-Erwachsen-werden. Und die Geschichte endet versöhnlich. Die Abschlussnummer »Compton« wird zu einem Manifest. Einer Standortbestimmung von dem was, woher und wer Kendrick eben ist: Ein guter Junge aus einer wilden Stadt.
"Good Kid m.A.A.d City" von Kendrick Lamar ist soeben via Interscope/ Universal erschienen.