Reloaded

Roc Marciano war schon in den 90ern dabei und zeigt den Nostalgiejüngern, wie eine moderne Version der goldenen Ära von New York Rap klingen sollte.

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Eine natürliche Reaktion vieler Menschen auf Neues ist Nostalgie und ein Früher-war-alles-besser. So ist die Musik, mit der man aufwuchs, immer die beste gewesen und alles was danach kam, war einfach nicht mehr so gut. Nirgends ist diese Sehnsucht nach Nostalgie derzeit mehr ausgeprägt als im HipHop. In so ziemlich jedem Land läuft eine Bewegung, die einem erzählen möchte, dass es damals besser war, sei es in den USA mit Rappern, die sich bewusst auf die 90er Realness berufen, in Frankreich, wo »Le Rap c’etait mieux avant (Rap war früher besser)«-T-Shirts an jeder Ecke sichtbar sind, oder eben hier in Wien, wo Golden Era-Clubs fast jede Woche stattfinden. Genauso wie es eine Suche nach Nostalgie gibt, will jeder Mensch auch immer etwas Neues haben, sei es Technologie, Gewand oder eben auch Musik. Um hier bei Rap zu bleiben, muss man leider feststellen, dass die meisten neueren Rap-Alben mit ihrem Drang nach Nostalgie zumeist leider sehr mies sind, weil entweder die Rapper, die Produktion oder das komplette Album uninteressant ist.

Roc Marciano bedient sich Elementen der Golden Era, was Produktion, Inhalte und Albumästhetik betrifft. Schließlich ist er, obwohl »Reloaded« erst sein zweites Soloalbum nach dem 2010 erschienen »Marcberg« ist, ein Rapper der 90er. Er wuchs in den Marcy Projects in Brooklyn auf, genauso wie einige andere Rapper, von denen man eventuell gehört hat, war Teil von Busta Rhymes‘ Flipmode Squad und arbeitete Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre mit Pete Rock am The UN Kollektiv mit. Was Roc Marciano jedoch deutlich von anderen Künstlern unterscheidet, ist, dass er es geschafft hat, trotz Nostalgieelementen seinen eigenen unverkennbaren Sound zu etablieren – was wahrscheinlich daran liegen mag, dass er das ganze Album bis auf zwei Ausnahmen selber produziert hat. Vor allem ist dieser Sound distinktiv New York und wäre in keiner anderen Stadt möglich gewesen. Die Produktion leiht sich 70er-Blaxpoitation-Sounds, Samples und klassische New York Drumloops, ohne jedoch wie ein Rap-Album aus dem New York der 90er zu klingen. Dies ist neben einem gut gemischten Sound vor allem Marcianos Rapstil, seinem Spiel mit Melodien und den Facetten seiner Rapstimme zu verdanken. Zwar benützt er hauptsächlich denselben Trick, nämlich eine Aneinanderreihung von mehreren mehrsilbigen Wörtern, doch das mit einer guten Portion Humor, die man sonst fast nur bei MF Doom hört.

Die Bedeutung von »Reloaded« wird sich erst über die Jahre zeigen. Es mag sein, dass das Album inhaltlich zu wünschen übrig lässt, weil es weniger wie ein Film, mehr wie »CSI« oder »NYPD Blue« ist, in denen sich immer wieder ähnliche Storys episodenweise wiederholen. Doch das Album ist, was Produktion und Raps betrifft, schwer zu überbieten und liefert im 21. Jahrhundert, wo der 808s und elektronische Sounds dominieren, einen wichtigen Entwurf für die Vielfalt im Rap und vor allem, wie eine moderne Version des klassischen New York Rap klingen sollte.

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