»Ich bin keine Puristin« – Peaches im Interview zu Widerstand, lokalen Szenen und Impulstanz

Derzeit verschlägt es die in Berlin lebende Musikerin Peaches nach Covid-bedingter Pause wieder quer durch die Welt. Unter anderem auch nach Österreich. Beim Impulstanz Festival ist sie am 14. Juli Headlinerin bei der großen Party anlässlich des 40. Jubiläums des Festivals – wir gratulieren! Warum Peaches bekennender Fan von Impulstanz ist, wie sie ihre Songs an die Zeit anpasst und was Pride-Shows besonders macht, schildert sie in unserem Interview.

© Keyi Studio

Danke, dass du uns mitten in der Tour hineinquetschen kannst! Du bist gerade am Londoner Flughafen auf dem Weg in die USA, zu zwei Shows mit M.I.A. und LCD Soundsystem, richtig?

Peaches: Genau, ich bin gerade unterwegs zum Red Rocks (einem Amphitheater in Morrison, Colorado; Anm. d. Red.). LCD Soundsystem und ich haben ja früher sehr oft gemeinsam gespielt, weil wir in derselben Electroclash-Szene begonnen haben, ganz am Anfang. Wir kennen uns gut. Mit M.I.A. war ich auch schon mal auf Tour, aber als sie noch keine Musikerin war. Sie war die Videofilmerin für Elastica. So haben wir uns kennengelernt. Wir haben aber noch nie eine Show gemeinsam gespielt.

Electroclash ist so ein lustiger Begriff. Auf der einen Seite sehr beschreibend, auf der anderen klingt es nicht wirklich nach Musik. Magst du die Genrebezeichnung?

Das kümmert mich nicht mehr wirklich. Ich glaube auch Punk beschreibt Musik nicht wirklich besser, um ehrlich zu sein.

Aber da ist es ja auch ein bisschen der Punkt, oder? Weil es ja mehr …

… Lifestyle ist. Ja, das stimmt. Electroclash heißt einfach, dass da Dinge kollidieren. Ich verwende den Begriff eigentlich nicht wirklich, keine Ahnung, warum ich das gerade so gesagt habe. Vielleicht um es einfacher zu machen?

Das ist ja das Ding mit Genres. Irgendwie sind sie Bullshit, aber irgendwie brauchst du sie auch als Beschreibung um über Dinge zu reden.

Absolut!

Peaches (Foto: Karolina Miernik)

Den Pride-Monat Juni verbringst du also in den USA?

Ich trete dort bei einer Reihe von Prides auf: New York Pride, Seattle Pride, Denver Pride, Milwaukee Pride.

Magst du es, auf Prides aufzutreten. Ist das anders als »reguläre« Shows?

Jede Show ist für mich irgendwie anders. Aber bei Pride-Shows sind alle ready to go, ready to celebrate. Natürlich sind Pride-Shows immer besonders – es ist eben eine Pride! Außerdem steht derzeit in den USA alles unter Beschuss. Es ist eine sehr schwierige Zeit. Drag steht unter Beschuss. Trans-Rechte stehen unter Beschuss. Abtreibungsrechte stehen unter Beschuss. Momentan fühlen sich Prides wieder mehr nach politischem Zusammenkommen an. Nicht mehr nur: »Pride, yay!«, oder: »Die Bank hat einen Regenbogen!« Das auf Prides jetzt politisch wieder mehr passiert, finde ich gut. Aber ich liebe es ebenso auf Mainstream-Festivals zu spielen, weil es auch wichtig ist, dort die Botschaft zu verbreiten wie fucked-up Amerika ist. Es braucht beides.

Auch in Österreich fangen ja die Identitären gerade an, sich in eine ähnliche Richtung mit Protesten gegen »Drag Story Time« zu bewegen.

Das ist so blöd. So blöd! Was machen diese Leute? Warum handeln sie wie Kinder, die es nicht besser wissen? Wieso lassen sie Menschen nicht sein, wer sie sind? Und, warum sexualisieren sie Drag? Das ist meine eigentliche Frage. Warum glauben sie, dass Drag-Performer*innen, die Kindern Geschichten vorlesen, plötzlich Pädophile sind? Das macht mich wütend. In Wahrheit machen sich diese Leute nur über sich selbst Sorgen. Sie selbst fühlen sich sexualisiert über diese Bilder. Das ist das wirklich Schadhafte daran.

Viele junge queere Menschen, mit denen ich spreche, nennen dich als Inspiration. Merkst du, dass du diese Inspirationsquelle für eine queere Szene bist, besonders für eine queere Szene im Performance-Musik-Bereich?

Das spüre ich sehr. Zuerst einmal bin ich dankbar, dass sie mich als Inspiration nennen. Aber mir ist auch wichtig, selbst mit ihnen verknüpft zu sein. So kann ich auch von der neuen Generation lernen. Wir können eine offene Diskussion führen und uns gegenseitig verstehen. Es findet gerade ein großer Generationenwechsel statt – in Bezug auf Gen X und Gen Z. Ich bin dankbar und froh, dass ich da von ihnen lernen kann und sie von mir lernen können.

Warum werden diese gesellschaftlichen Umbrüche so oft in der Musik sichtbar? Ich denke zum Beispiel gerade an die zunehmende Sichtbarkeit von nicht-binären Musiker*innen. Hast du eine Erklärung dafür?

Musik ist, glaube ich, ein großartiger Weg, um sich selbst auszudrücken, richtig aus dem Bauch heraus. Du kannst Musik als Mittel nutzen, um dich selbst zu verstehen und dich selbst darzustellen. Als Schauspieler*in ist das anders, weil du Rollen spielen musst, die andere dir geben. Auch als Tänzer*in als Teil einer Tanzgruppe ist das ähnlich – außer die ganze Tanzgruppe verfolgt dasselbe Ziel. Aber als Musiker*in kannst du in der Regel deinen eigenen Mood erschaffen. Musik ist ein gutes Vehikel, um sich selbst auf sehr rohe, direkte Art ausdrücken.

Peaches (Foto: Keyi Studio)

Du bist eine sehr performative Künstler*in. Ist Performance komplementär zu deiner Musik? Oder shiftest du hin und her?

Ich bin keine Puristin. Für mich ist das alles Teil desselben Ganzen. Mein Hauptimpetus kommt von einem musikalischen Ort und reicht dann von dort woanders hin. Ich nutze Musik, um Performances zu schaffen, um eine Welt zu schaffen. Also ist das alles Teil vom selben Ganzen.

In Österreich wirst du ja beim Impulstanz Festival auftreten. Das scheint mir, was deinen Zugang betrifft, ausgezeichnet zu passen. Freust du dich schon darauf?

Ich bin ein Fan von Impulstanz! Ich hab da bereits Workshops und Shows gemacht. Einmal bin ich sogar extra hingefahren, nur um Florentina Holzingers Arbeit zu sehen, ca. vor fünf Jahren. Durch Impulstanz hab ich eine Menge coole Leute kennengelernt. Florentina hab ich vorher schon gekannt, aber andere Leute wie Ivo Dimchev oder Trajal Harrell kenn ich über Impulstanz. Und es gibt ständig etwas Neues zu entdecken. Es ist wirklich ein sehr, sehr gutes Festival.

Hast du derzeit eine fixe Setlist, mit der du auch beim Impulstanz auftreten wirst?

Ich hab eine Setlist, aber ich gebe immer ein paar Sachen dazu oder nehme etwas weg – je nachdem wie es sich bei jeder einzelnen Show anfühlt. Oder wenn etwas passiert und ich finde ein Song muss gespielt werden.

Gibt es da Songs von dir, die du in der aktuellen Situation besonders relevant findest?

Derzeit spiele ich meinen Song »Flip This« sehr gerne. Die Message davon ist: »Fuck the system!« Das passt gerade gut. Viele von den Outfits in meiner Show sind auch voll von Slogans. Das ist für mich auch eine wesentliche Ebene. Gibt es denn Songs, die du passend fändest?

Ich dachte etwa an das Album »Fatherfucker« und den Quasi-Drag-Act, den du da performt hast.

Ich spiele auch »I U She«. Ich weiß nicht, ob du den Song kennst, aber er geht so: »I U He / I U She«. Aber mittlerweile singe ich auch »I U They«, einfach um es mehr nicht-binär zu machen. Viele von meinen Songs versuche ich weniger binär zu drehen, selbst Songs von »Rub«, die schon etwas in diese Richtung gingen. Mir ist wichtig, das anzupassen, sodass es Sinn ergibt.

Du lebst ja seit einiger Zeit in Berlin. Wie hat sich die Stadt verändert?

Sie hat sich einfach verändert. Aktuell hat sie ihren Gentrification-Moment, was einer Menge Leute Probleme macht. Es ist alles sehr teuer, es gibt kaum mehr Platz für Leute, um leistbar zu wohnen und zu leben. Covid hat das noch verschärft. Nach Covid haben scheinbar alle beschlossen, die Preise nach oben zu drehen. Das ist alles traurig. Aber Berlin ist immer noch eine Stadt wie keine andere, obwohl sie sich gerade gentrifiziert und normalisiert. Ich hoffe, das kann auch weiter so sein. Ich glaube nicht, dass Berlin je wie New York oder London wird.

Also es gibt immer noch Orte des Widerstands?

Ja, definitiv. Definitiv!

Du bist eine international tourende Künstlerin. Hast du viele Verbindungen zu lokalen Szenen? Magst du es so international orientiert zu sein, oder wärst du manchmal gerne lokaler?

Ich bin in einer sehr privilegierten Position, eine internationale Musikerin zu sein, aber trotzdem zu vielen lokalen Szenen Verbindungen zu haben. Zum Beispiel in Wien, zu Florentina Holzinger eben und zu dieser feministischen Underground-Szene. Also obwohl ich »international tourend« bin, hab ich viele Freund*innen in den lokalen Szenen und fühle mich davon nicht abgetrennt. Ich fühle mich eher glücklich, Teil von so vielen verschiedenen Szenen zu sein.

Hast du das Gefühl, dass diese Szenen heute vernetzter sind als früher?

Ich bin mir sicher, dass das Internet einiges geändert und vernetzter gemacht hat. Sicherlich sind lokale Szenen heute etwas anderes als das, was ich früher als lokale Szene wahrgenommen habe, als ich selbst noch lokaler war. Aber es braucht noch immer lokale Szenen, wir müssen uns immer noch live treffen, müssen live füreinander spielen. Lokale Szenen bedeuten, dass Leute zusammenkommen.

Peaches tritt im Rahmen der Impulstanz Party A-Side am 14. Juli 2023 ab 21:30 Uhr im Arkadenhof des Rathauses auf. Inklusive Special Appearance von Lou Asril sowie DJ-Support von Dial 1808 und Kristian Davidek. Wer im Westen Österreichs lebt, kann sie tags darauf beim Poolbar Festival in Feldkirch bewundern. Das Impulstanz Festival findet heuer von 6. Juli bis 6. August statt. The Gap präsentiert im Rahmen der Schiene »Impulstanz Soçial« das Konzert der Band Cousines Like Shit am 12. Juli in der Festivallounge im Burgtheater Vestibül.

Dieser Beitrag ist als Teil einer Medienkooperation mit dem Impulstanz Festival entstanden. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei The Gap.

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