Anna Maria Krassnigg, künstlerische Leiterin des Salon 5 über„Power to Hurt – ein szenisch-musikalischer Trip nach William Shakespeare“, urbanes Publikum und verknöcherte Budgets.
Würden sie sagen, dass das Konzept des Salon 5, dessen künstlerische Leiterin sie seit zwei Jahren sind, nämlich ein Theater für Leser zu machen und Kunst und Gesellschaft einander näher zu bringen, aufgegangen ist?
Ja, da würde ich doch mit einigem Selbstbewusstsein sagen, „Ja“ und zwar eigentlich auch mit einiger Verwunderung, denn als wir begonnen haben, haben wohlmeinende Freunde gesagt „Das ist eine super Idee so eine Art Musikclub fürs Theater in der Stadt zu machen, das wäre sicherlich eine Lücke, aber dann gleich überm Gürtel, bist du verrückt? Da geht ja kein Wiener hin.“. Und ich habe mir gedacht „Gut, schauen wir uns das mal an“ und tatsächlich ist es so, dass es wirklich gut funktioniert. Wir haben, und das ist wahrscheinlich unser größter Stolz, ein total heterogenes Publikum. Junge Menschen, die sonst nirgendwo ins Theater gehen, Cineasten, die aus ideologischen Gründen fast nie ins Theater gehen, Leute, die sich sonst hauptsächlich für bildende Kunst interessieren, aber auch Burg- und Akademietheater-Abonennten aller Altersstufen.
Das ist wirklich verrückt, denn es war mein Wunsch aus einer typisch einordenbaren Theater-Society entweder der verzopften oder der theaterwissenschaftlichen Art heraus zu kommen in etwas, wo ich denke das ist ein lebendiges, urbanes Publikum, mit dem man sich auch unterhalten kann. Wir sind jetzt aber an einem Punkt, wo wir, um das flächendeckend fortsetzen zu können, finanziell anders aufgestellt sein müssen. Wir haben das Konzept für eine gewisse Anzahl von Vorstellungen im Jahr ausgetestet und es funktioniert nicht nur, es explodiert eigentlich. Wir könnten ohne Probleme 365 Tage im Jahr spielen.
Der „Salon 5“ ist an 70 Tagen im Jahr geöffnet.
Genau, wir haben das sogar ganz bewusst gleich gelassen. Denn wenn wir die Qualität, die wir haben wollen und wegen der die Leute ja auch kommen, halten wollen, dann können wir nicht immer um den ewig gleichen Betrag X die Vorstellungszahl ausdehnen. Das heißt, wenn sozusagen von der Stadt oder von wem auch immer eine Frischzellenkur in der darstellenden Kunst gewollt wird, dann müssen wir anders aufgestellt werden, um das zu machen. Sowohl vom Programm, als auch von den künstlerischen Ressourcen her. Das ist die nächste große Frage und der nächste Schritt.
Was hat sie dazu bewogen einen Salon zu gründen?
Ich habe in Wien die Ausbildung gemacht (Schauspiel & Regie am Max-Reinhardt-Seminar, Anm.), war dann 15 Jahre im Ausland, kam zurück und habe mir gedacht, dass sich an einigen Orten schon viel verändert hat, von der Architektur und der Stimmung der Stadt her, aber in der darstellenden Kunst relativ wenig. Es gab Versuche, aber wenig Sichtbares, was man auch vom Ausland gesehen hätte. Mir hat ein Ort wie die Gessner-Allee oder das Neumarkt, das ein buntes Publikum anzieht und das anders mit den Leuten umgeht als von der lustigen Podiumsdiskussion herunter, gefehlt. Ein Ort, der sich auf Augenhöhe mit den Gästen, die sich hier bewegen, trifft und unterhält. Und als ich das „Brick 5“ gesehen habe, war mir klar, dass das hier der perfekte Ort und die perfekte Größenordnung ist, weil das hier einfach ein großer, freier Raum ist, der nicht mit dem, was man an Theater, aus verschiedenen und berechtigten Gründen als negativ empfunden hat, atmet.
Es ist eine jüdische Turnhalle und der Gedanke des Salons auf Grund eines Kunstereignisses in intimem Rahmen zusammen zu kommen und zu quatschen ist ohnehin ein uralt-wienerisch-jüdischer Gedanke. Und dann behaupten wir doch mal wir machen ein Update von diesem Gedanken.
Sie haben bereits im Weblog „Wien denkt weiter“, der vom Kulturstadtrat initiiert wurde und zum kulturpolitischen Diskurs anregen soll, gesagt, dass die Förderung interaktiver Projekte wichtig, aber sehr schwierig sei. Inwiefern glauben sie, dass die Theaterlandschaft immer noch ziemlich elitär ist?
Das sind Dinge, die die wenigen Damen und Herren, die an den Schaltknöpfen sitzen, sehr wohl wissen. Dass wir in Wien – das ist in vielen Städten so, aber nirgendwo dermaßen extrem – eine ungeheuer hohe Prozentzahl von gebundenen Budgets haben, die in bestimmte mehr oder minder museale Dinge von unterschiedlicher Qualität laufen. Da gibt es Qualität, wenn die evaluiert würde, dann wären schon viele Leute ihre Posten los, aber da fließt der große Topf des Geldes hin. Und die restlichen Paar Brösel, die werden zu Tode kuratiert und da entsteht keine Kontinuität. Und unter diesen Bedingungen, einer winzigen frei beweglichen finanziellen Menge und einem riesigen festgefahrenen Budget kann kaum etwas Neues entstehen.
Kreative Projekte, die interaktiv sind und zwar zu einem hohen Karat, sind natürlich nicht billig, aber es gibt auch keine wirklichen Einreichformate dafür. Bei der Stadt ist es in den letzten Jahren besser geworden, aber auch da reden wir immer von diesen Paar Bröseln, mit denen diese Projekte nicht zu machen sind. Und so wird man eher befremdend betrachtet, wenn man so etwas Exotisches will. Der Aufbruch wird immer verkündet, bebildert und „bemarketingt“, aber solange sich an dieser substantiellen Wahrheit nichts ändert, wird sich auch nichts nachhaltig bewegen.
Zur aktuellen Produktion „Power to Hurt – Ein szenisch-musikalischer Trip nach William Shakespeare“: Sonette wurden zu Balladen vertont und werden von Raphael von Bargen gesungen. Welche Texte wurden ausgewählt und was kann man sich unter einer Shakespeare’schen „Power to Hurt“ vorstellen?
Aufgrund von verschiedenen Themen, für die wir gebrannt haben, haben wir uns einen Herbst-Schwerpunkt ausgesucht. Ein gemeinsamer roter Faden war plötzlich da und war letztlich „das Monströse“. Mit allem, was das Wort beinhaltet, mit dem Kitsch, mit der Überdimension, mit dem Altfadrischen. Und diese Macht oder Kraft zu verletzen, deren Mechanismen in den Historien, den Sonetten und den Komödien, wortwörtlich beschrieben sind, hat uns total interessiert. Raphael von Bargen ist einfach ein großartiger Sänger/Schauspieler, wirklich beides in hohem Maß. Und bei den Kompositionen, die ich gehört habe, fand ich, dass diese merkwürdige Mischung aus Schönheit, Macht, Brutalität, Perversion, die diese Texte atmen, gar nicht so sehr auf einer intellektuellen Ebene funktionieren, sondern das einfach ausstrahlen.
Das genau diese Dinge durch die Musik-Bild-Textwelt, die wir da zusammen bauen, sehr spürbar werden. Unter Umständen mehr spürbar, als bei einer verfassten Inszenierung. Obwohl es oft auch bei nicht-konventionellen Inszenierungen gar nicht so einfach ist diese Aura, diese Kraft, diese poetische Gewalt, die diese Idee von Shakespeare hat, nämlich zu sagen es gibt diese „Power“, die in Richtung Verletzung anderer und sich selbst geht, einzufangen. Aber sie überträgt sich in dieser Form unglaublich, selbst wenn ich es mit Worten nicht beschreiben kann. Und von den Texten haben wir natürlich solche ausgesucht, die auf sehr unterschiedliche Weise dieses Phänomen behandeln.
Da gibt’s Texte aus dem „Richard II“, aus dem „Richard III“ und es gibt vor allem Sonette, die sich sehr stark um das Dreieck „Black Lady“, „adeliger Jüngling“ und „Will“, also Shakespeare, drehen, wo es permanent um erotische Verletzungen und Selbstverletzungen geht, aber wo es wiederum auch eine Kraft gibt, die einen total berührt. Er sagt in diesen Sonetten immer wieder „Ich bin kein guter Dichter“ – diese Ansicht hat die Welt korrigiert – „aber es wird mir gelingen“, sagt er dann auf der anderen Seite, total hypertroph, im Gegensatz zu vielen antiken Dichtern, „dass ihr nicht vergessen werdet“.
Bislang wurden am „Salon 5“ ausschließlich Autoren gespielt. Gibt es Autorinnen oder Schauspielerinnen, mit denen sie gern zusammen arbeiten würden, es aber bislang noch nicht haben?
Die literarische Welt ist leider Gottes immer noch so gestrickt, dass der Pool bei männlichen Zeitgenossen, nach denen man greifen kann, größer ist. Natürlich gibt es Röggla und Jelinek und ich schätze sie sehr. Nur damit würden wir uns in keiner Weise vom Programm irgendeines Staatstheaters unterscheiden. Wir gehen ganz stark von Themen aus. Ohne die Messlatte von Gendering oder Bekanntheitsgrad oder leichter Inszenierbarkeit. Was es aber speziell macht, ist, dass wir hier zu 90 Prozent eine weibliche Sicht auf die Dinge haben. Das ganze Team funktioniert weiblich. Sowohl in der Kunst, als auch in der Organisation. Es sind zu einem großen Teil weibliche Sichtweisen auf die männlichen Stoffe. Ich bin diesbezüglich auch im Gespräch mit dem Wissenschaftsministerium und mir würde enorm daran liegen Frauen in der Kultur auf verschiedenen Ebenen einzuladen und sichtbar zu machen.
Wie kommen die Ideen für den „Salon 5“ zu Stande? Fallen sie vom Himmel?
Es gibt einen Kern von Menschen, mit denen ich seit vielen Jahren arbeite. Ich habe ein Schattenensemble von etwa dreißig Leuten, die hier niemandem und nichts nachstehen, die sich aber aus bewussten Gründen von gewissen Institutionen fern halten und die versuchen ihre eigenen schrägen Dinger zu drehen und die eine andere Haltung zur Kunst und zum Leben haben, als man diese verwirklichen kann wenn man an einer der Institutionen ist. Und dieses Team tickt natürlich ähnlich. Wir haben ähnliche Sehnsüchte, es gibt ähnliche Fragen, die uns interessieren, gewisse Aggressionen. Und so kommt man natürlich schnell auf Fragestellungen wie „Was ist Ausgrenzung? Was ist das Monströse? Wie ist das jetzt mit Kunst und Gesellschaft? Ist das nur noch eine Anzeige neben dem Wellness-Inserat oder ist es etwas anderes? Wie ist das Verhältnis Musik-Film-Darstellung?“. Es wird ja so getan als wäre das eh ganz klar, aber das ist es eben überhaupt nicht. Es ist ja nicht so, dass wir denken „Oh, es kommt die nächste Spielzeit, was würden wir denn machen, wenn wir Geld hätten?“, nein, es gibt locker 50 Projekte, die wir verwirklichen könnten. Das Mühevolle in dieser Stadt ist eben nicht einmal so sehr etwas Neues zu machen, sondern etwas Neues sichtbar zu machen.
Welche Produktionen wird es in der laufenden Spielzeit noch zu sehen geben?
Es werden fast alle Dinge, die im Herbstprogramm sind, gastieren, da wir auch im Ausland tätig sind. Es wird von „Power to Hurt“ höchstwahrscheinlich mit einer ganz tollen Schauspielerin/Sängerin, ich möchte aber noch nicht verraten wer das ist, das ist wirklich eine kleine Sensation, eine Fortsetzung geben. Wir werden zwei Produktionen mit dem Grand-Théatre Luxemburg koproduzieren und dann wie jetzt den „Salon Monströs“ einen „Salon zum goldenen Kalb“ haben, wo es um die offensichtliche Anbetung des Materiellen in unserer Welt geht.
Das wird einmal in Form einer Romandramatisierung sein, auch wenn alle Dramaturgen das momentan zu schelten belieben und das wird wahrscheinlich „Cosmopolis“ von Don DeLillo sein und einmal eine Uraufführung von Guy Helminger, den ich sehr schätze und der meiner Meinung nach einer der großen Haudegen der deutschen Dramatik ist und der ein ganz arges Stück über die Ungerechtigkeit in der Welt geschrieben hat. Und dann haben wir noch ein Riesenprojekt, das sehr stark mit der Stadt Wien und seiner jüdischen, faschistischen und nationalsozialistischen Vergangenheit zu tun hat, aber auf eine schräge, merkwürdige Weise.
Wie schnell wir das alles ins Werk setzen können, hängt von den weiteren finanziellen Endgültigkeiten ab.
Anna Maria Krassnigg wurde 1970 in Wien geboren, studierte Schauspiel & Regie am Max-Reinhardt-Seminar und ist dort seit 1999 als Rollenlehrerin und Gastprofessorin tätig. Seit 2008 leitet sie den „Salon 5“, führt Regie und schreibt selbst (Textfassungen, sowie Dramatisches).
„Power to Hurt“ im Rahmen des „Salon Monströs“
11., 12., 22. & 24.11.
im Salon 5 im Brick-5
15., Fünfhausgasse 5