Österreich hat sein erstes Musikfilmfestival. Von 17. bis 19. Juni wurde im Top Kino Musik geschaut.
Scenes From The Suburbs
Bereits im nahen Umkreis des Topkino spürte man, dass hier heute etwas Besonderes passieren muss. Eine Menge cooler Indie-Kids mit Riesensonnenbrillen und bedruckten Stoffbeuteln drückten sich in der Rahlgasse herum. Im Top Kino startete heute das erste Musikfilmfestival Österreichs, die Poolinale. Der eigenwillige Name ist eine Anlehnung an den Firmennamen des Veranstalters. Die Sync und Licensing Agentur Swimming Pool, ist der Drahtzieher dieses kleinen Filmfestivals.
Scenes From The Suburbs
Der Eröffnungsfilm dürfte besonders viele Stoffbeutelträger angezogen haben. Schließlich stammt die Musik dafür von den Szene-Helden Arcade Fire. Gemeinsam mit Jackass-Erfinder Spike Jonze drehten sie in zehn Tagen einen Kurzfilm über das Erwachsenwerden in Suburbia. Schlaksige Teenager in grungigen Jeans und Flanellhemdfetzen fahren mit dem Auto durch die Gegend und quatschen im Lagerfeuerschein wirres Zeug, während sie ihre ersten paar Joints rauchen. Scenes From The Suburbs ist ein Zurückdenken an eine Jugend, die so toll dann doch nicht war. Die Last der Welt ruht bekanntlich auf Teenager-Schultern.
Die Besonderheit des Films besteht darin, dass er wie eine richtige Erinnerung funktioniert. Er lässt die Tage Revue passieren, an denen eigentlich überhaupt nichts passiert ist und die einem dennoch so präsent sind. Man blickt zurück auf die Freunde, auf die zahllosen Stunden, in denen man nur in der Gegend rumhing und eigentlich nichts tat. Im Hintergrund läuft eine zweite Spur mit der Erinnerung an alles, was währenddessen passiert ist. Ereignisse, die einen nicht nur selbst betrafen, sondern auch die Welt. Die Armee marschiert durch die Kleinstadt und unterdrückt die Leichtlebigkeit durch harsche Kontrollen. Es fallen Schüsse und Personenkontrollen stehen auf der Tagesordnung. Kommt man aus dieser beunruhigenden Welt dann nach Hause, steht schon der strenge Vater in der Tür, der es mit der Leichtlebigkeit auch nicht so hat. Beides verschmilzt in Scenes From The Suburbs zu einer Vergangenheitskonserve. Obendrein wird viel Fahrrad gefahren, wie sich das für einen Vorstadtjugendfilm gehört. Mit flatterndem Wuschelhaar fahren die Kids auf ihren BMX-Rädern zwischen vielen weißen Gartenzäunen hindurch. Das alles zur Musik von Arcade Fire. Was könnte cooler sein?!
letenglandshake
Let England Shake Nicht ganz so ausverkauft wie der vorhergehende Film war Let England Shake, eine Art Musiktrip durch England mit PJ Harvey. Einmal das ganze Album und England durch scheint hier die Devise gewesen zu sein. Der englische Kriegsfotograf Seamus Murphy hat zu jedem Song auf "Let England Shake" einen Kurzfilm gedreht. Zwölf kurze und total deprimierende Reisereportagen über seine Heimat sind das Ergebnis. Ein bisschen erinnern sie an die fächerübergreifenden Übungen zu denen uns Musik- und Zeichenlehrer früher gezwungen haben: Mal ein Bild zu dem was du hörst. Seamus Murphy sah in PJ Harveys Album hauptsächlich graue Hügel, graues Meer, grauen Himmel und eine Menge Bäume, die sich einem grauen Himmel entgegenrecken. Dann gibt es noch ein paar Kinder und ein paar Kühe, die vorwurfsvoll von der Leinwand herunterstarren.
Auch nicht ohne sind die Kriegsfotografien von Seamus Murphy, die in die Filmchen hineingeblättert wurden. Zwischenzeitlich sehen wir PJ Harvey in einem spärlich möblierten englischen Landhaus sitzen und ausdruckslos ihre Liedchen singen. Dahinter hängt ein imposanter Büffelschädel oder etwas Ähnliches.
Schon wahr, das ist irgendwie die Stimmung, die das Album suggeriert. Die Collage aus dem wirklich vielseitigen und sehr poetischen Album, den Englandbildern und Kriegsfotos war auch nicht uninteressant, aber alles in allem war es aber dann doch ein bisschen viel Küstentristesse. Die unheimlichen ewigen Strände mit dem vielen farblosen Meer scheint auch die Zuschauer nicht wahnsinnig gefesselt zu haben. Nach jedem Kurzfilm gingen ein paar Leute aus dem Saal.
Backyard
Endlich Island! Nachdem so einige junge Bands von der Insel in Österreich nicht mehr gänzlich unbekannt sind, wurde "Backyard" besonders freudig erwartet. Gastgeber ist Árni Rúnar von FM Belfast. In einer Art Container hat er sich ein kleines Tonstudio in seinen Hinterhof gebaut. Um es einzuweihen, kam er auf die Idee ein paar befreundete Bands aus der Umgebung einzuladen, ein Hofkonzert zu spielen. Darunter sind zum Beispiel Hjaltalin, Múm und Retro Stefson. Natürlich muss zuvor noch einiges organisiert und aufgebaut werden. Was ist mit der Dekoration und dem Essen? Was wenn es regnet? Die Beantwortung dieser Fragen zeigt vor allem, dass das Klischee des verplanten Musikers überall auf der Welt gleich ist. Das machen wir dann schon irgendwie, heißt es. Es ist ein heiteres Chaos aus Bandmitgliedern, Kabeln und Leuten, die einfach nur so vorbeigeschaut haben. Natürlich wird bei solchen Zusammenkünften viel herumgealbert und so bekommt der Film auch nicht wenige Lacher. Natürlich nicht zuletzt deshalb, weil im Publikum viele österreichische Musikleute sitzen, die sich in ihrem isländischen Pendant wiedererkennen. Nicht uncharmant.
Dass die isländische Musikszene nicht unspannend ist, haben wir zwar schon gewusst, aber "Backyard" zeigt vor allem, dass es eine freundschaftliche Angelegenheit ist, in Island Musik zu machen. Ähnlich wie in Österreich kennt jeder jeden und das kommt bei diesem Hofkonzert unter Gleichgesinnten auch ganz klar raus. Eine Szene setzt sich aus Leuten zusammen, die die gleiche Stimmung teilen, sagt einer der Musiker recht treffend. Als am Ende FM Belfast "Underwear" spielen und dabei alle die Hosen runterlassen, ist das Leben für einen Abend eine steile Party.
Backyard ist wie ein Wiedersehen mit alten Freunden und war sicher einer der Höhepunkte der Poolinale.
Utopia Ltd.
Der Abend neigte sich dem Ende zu. Den letzte Film "Utopia Ltd." sah nur noch ein harter Kern von Publikum. Viele Plätze blieben leer. Vermutlich trug dazu bei, dass 1000 Robota als Band schon ganz schön nervig sind.
Warum heißen sie 1000 Robota? 1000 steht für viele und Roboter, das sind die Menschen, die die Jungpunks morgens in der Bahn beobachten. Die machen alle das gleiche und das finden die Robota traurig. Das A am Schluss soll aber wieder Hoffnung verkünden und aussagen, dass 1000 Robota nicht so sind, wie die Bahnfahrer, denn ein normaler Roboter würde sich ja mit -er schreiben. Aha, so ist das also. Anton Spielmann - ein Kopf voll wirrer Gedanken. Die deutsche Regisseurin Sandra Trostel hat die Band drei Jahre lang durch deren Alltag begleitet. Das Ergebnis ist ein Film über die Härte des Musikbusiness und des Lebens als junger Musiker allgemein. Kann man heute überhaupt noch Punk leben? 1000 Robota versuchen es nach Kräften. Gleichzeitig sorgen sie sich aber um ihr Abitur und ihre Ausbildung und wohnen noch alle bei ihren Eltern. Auch die künstlerische Seite ihres Lebens ist nicht so einfach, wie sie sich das wahrscheinlich irgendwann einmal vorgestellt hatten. Entscheidungen müssen getroffen werden und manchmal muss man Kompromisse machen, die an Selbstverleugnung grenzen. 2008 zerkracht sich die Band mit ihrem Label Tapete Records, das im Film nicht sehr gut wegkommt. Es ist eine Geschichte von Hinfallen und Aufstehen. Eine viel zu zeitaufwendige Geschichte. Vor allem die Toursequenzen haben unendliche Längen und die vielen Interviews mit Anton Spielmann über seine arrogante Weltanschauung hätte man durchaus kürzen können. Dann müsste man auch diesen „fetten“ Teenie-Sprachgebrauch „irgendwie“ nicht so lange ertragen „und so“. Die meiste Zeit über hat man sowieso keine Ahnung was er eigentlich sagen will.
Auf jeden Fall wissen wir jetzt 1000 Dinge, die wir über 1000 Robota niemals wissen wollten.