Proeuropäisch popeuropäisch – Popbekenntnisse zu Europa

Ein großer Teil von Europas Jugend knüpft Erwartungen, Herz und Vernunft an die EU. In Kunst und Jugendkultur feiert er die Union, ganz unironisch.

© Theresa Ziegler

Plötzlich war Mitte Februar überall im Netz dieser EU-Pass. Nach wenigen Klicks und dem Überfliegen von ein paar Tweets und Postings war schnell klar, worum es ging. Bilderbuch bewarben ihr neues Album unter dem Hashtag #europa22 mit einem politischen Viral-Ding. Auf bilderbucheuropa.love konnte man ein paar persönliche Daten angeben und ein Porträtfoto hochladen, um anschließend den eigenen EU-Pass via Social Media zu teilen. Die Idee eines shareable Bekenntnisses zu Bilderbuch und Europa gefiel sehr vielen Menschen. Über 70.000 der Pässe wurden gleich am ersten Tag geteilt. Zum Beispiel von Mavi Phoenix, der Autorin Sophie Passmann oder der deutschen Justizministerin Katarina Barley. »Wenige Monate bevor Rechtspopulisten das Europäische Parlament erobern könnten, ist die Werbung einer jungen Band aus Kremsmünster in Oberösterreich der vielleicht schönste Hinweis darauf, dass alles auch ganz anders sein könnte«, schrieb bento.de, eine asiatische Snackbox aus dem Hamburger Spiegel Verlag.

Der EU-Pass von Bilderbuch: ein Bekenntnis zu Europa, das sich teilen lässt. © bilderbucheuropa.love

Wertschätzung fürs »Europagefühl«

Wenn European Citizenship als Promo für Popmusik funktioniert, muss es wohl ganz besonders gut oder besonders schlecht um die europäische Identität bestellt sein. Oder beides. Der politische Diskurs über so ziemlich alles sei schließlich zunehmend polarisiert, heißt es. Im Jahr 2018 ließ die deutsche TUI-Stiftung vom Institut YouGov erheben, wie es Jugendliche in Europa mit Europa halten. »Junges Europa 2018 – So denken Menschen zwischen 16 und 26 Jahren« ist die Studie überschrieben, für die 6.080 junge Menschen in sieben EU-Staaten interviewt wurden. In der Zusammenfassung der Ergebnisse heißt es: »Die jungen Menschen haben eine deutlich positivere Einstellung zu Europa als noch 2017.« »Immer weniger junge Europäer würden in einem Referendum für den Austritt ihres Landes aus der EU stimmen.« »Immer mehr junge Menschen erkennen, dass sich ihr Land und die EU in gleicher Weise brauchen.« Aber auch: »Unter jungen Polen, Franzosen und Griechen sind populistische Einstellungen vergleichsweise weit verbreitet.« »Junge Europäer mit populistischen Einstellungen haben tendenziell ein liberales Demokratieverständnis.« Und: »Wer populistisch denkt, wünscht sich eher radikale Veränderungen. Fast 40 Prozent dieser Gruppe stimmen dafür.«

In Pop und Kunst findet sich jede Menge Wertschätzung für Europa und die EU. Wohl kein Zufall. Eine Vermutung: In Brexit-Zeiten stiftet kollektives Bekennen zu Europa genau das angenehme, kollektive »Europagefühl«, das akut von rechts bedroht erscheint. Populismus und Nationalismus, EU-Ablehnung und kleinstaatliche Identitätspolitik gibt es schließlich gerade en masse. Das Bilderbuch-Europa als supranationale, identitätsstiftende Einheit steht in der Wahrnehmung vieler junger Menschen auf dem Spiel. Dabei geht es um viel. Schließlich gibt es unter jungen und halbjungen EuropäerInnen inzwischen viele, deren Lebensrealität sich über nationale Grenzen hinweg abspielt. Sie pflegen Freundschaften quer über den Kontinent und sind durch billige, subventionierte Flugtickets, vereinheitlichte Studienpläne, gemeinsames Wohnen, Arbeiten, Feiern, Festivalbesuchen, Fußballschauen, Demonstrieren, Konsumieren etc., zur »Generation Erasmus« geworden. Die Eintrittskarte zu diesem nicht unexklusiven Club sind Bildung und Wohlstand. Natürlich haben die mobilen, gebildeten jungen Europäerinnen und Europäer ihren eigenen Pop, ihre eigene Kunst und Jugendkultur voller Popbekenntnisse zur EU und zu Europa.

Weiter zu: das Brexit-Referendum und Wolfgang Tillmans, aufrichtige Europagefühle und Jan Böhmermann

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