„Sie waren saufwütige Bajuwaren – bevor sie zu härteren Sachen griffen“

Auch die Nazis nahmen Drogen und das nicht zu knapp. Genau darüber kann man sich nun im neuen Sachbuch "Der totale Rausch – Drogen im Dritten Reich" von Norman Ohler schlau machen.

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Norman Ohler hat ein Buch über Drogen im Dritten Reich geschrieben. Darin steht, was die Nazis gegen die feierwütige Berliner Szene hatten, wie sie sich einen nationalen Rausch vorstellten, und was an chemischen Drogen so deutsch ist. Wir haben mit ihm über die Drogenpolitik der Nazis gesprochen und über Pervitin. Die Alltagsdroge der 1930er und 40er Jahre war unter Wehrmachtssoldaten verbreitet und das Aufputschmittel des Vernichtungskriegs.

Bestand die Elite des Dritten Reichs aus Berliner Druffis?

Sind hier die Feiernasen an der Spree gemeint? Die verschwanden nämlich, mitsamt der Weimarer Republik, durch die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933. Sie waren saufwütige Bajuwaren – bevor sie zu härteren Sachen griffen. Vergessen wir nicht, dass die NSDAP in einem Münchner Bierkeller gegründet wurde – und der sog. „Hitler-Putsch“ 1923 mit einer gehörigen Menge Restalkohol im Blut durchgeführt wurde.

Aber in den frühen 30er Jahren beherrschten deutsche Unternehmen 80 Prozent des weltweiten Kokainhandels. Wie konnte Deutschland zum Dealer der Welt werden?

Gleich mehrere moderne Pharmaziestandorte entwickelten sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entlang des Rheins. Es wurde auf Hochtouren geforscht, eine Vielzahl an Patenten entwickelt. Deutschland wurde noch vor der Jahrhundertwende zur „Werkstatt der Welt“ – und Made in Germany zum Gütesiegel, was die Drogen betraf. Kokain war eine Spezialität der Firma Merck in Darmstadt.

Sie schreiben, dass es in der Blutbahn vieler Nazis eher chemisch Deutsch als arisch zugegangen sei. Heißt das, chemische Drogen, waren etwas sehr Deutsches?

Deutschland, mit relativ kleinem Kolonialbesitz, stellte sich bereits im 19. Jahrhundert die für die Moderne benötigten Stimulanzien selbst, also künstlich, her. Die chemische Droge ist eine sehr deutsche Angelegenheit.

Das Berlin der Weimarer Republik war eine Partymetropole. Dort waren Drogen präsent wie in wenigen anderen Städten. Aber bei Kommunisten und Nazis waren sie eher verpönt. Viel zu bürgerlich, viel zu dekadent. Stimmt diese Vorstellung in etwa?

Auch aus dem konservativen Lager kamen Attacken gegen den „Verfall der Sitten“. Selbst wenn man den Aufstieg Berlins zur Kulturmetropole mit Stolz aufnahm – gerade das Bürgertum, das in den Zwanzigerjahren an Status verlor, zeigte seine Verunsicherung durch radikale Verurteilung der Vergnügungs- und Massenkultur, die als dekadent verschrien war. Am ärgsten agitierten die Nationalsozialisten gegen die pharmakologische Heilsuche der Weimarer Zeit. Die Nazis hielten ihr eigenes Rezept für die Gesundung des Volkes parat und versprachen ideologische Heilung. Für sie konnte es nur einen legitimierten Rausch geben, den braunen.

Was machte die NS-Drogenpolitik der Vorkriegsjahre ab 1933 aus?

Die Nationalsozialisten erstickten in kurzer Zeit die exaltierte Vergnügungskultur der Weimarer Republik mit all ihren Offenheiten und Ambivalenzen. Drogen wurden tabuisiert, da sie andere Irrealitäten erlebbar machten als die nationalsozialistischen. „Verführungsgifte“ hatten in einem System, in dem allein der Führer verführen sollte, keinen Platz mehr. Dem Begriff „Droge“, der einmal ganz neutral „getrocknete Pflanzenteile“ bedeutet hatte, wurden negative Werte zugeschrieben, Drogenkonsum stigmatisiert und – mit Hilfe der rasch ausgebauten entsprechenden Abteilungen der Kriminalpolizei – schwerstens geahndet.

Weiter zu Rausch, die Lüge von Hitler als giftfreier Mensch und der WM-Elf von 1954.

Bild(er) © Joachim Gern / Kiepenheuer & Witsch Verlag
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