Proeuropäisch popeuropäisch – Popbekenntnisse zu Europa

Ein großer Teil von Europas Jugend knüpft Erwartungen, Herz und Vernunft an die EU. In Kunst und Jugendkultur feiert er die Union, ganz unironisch.

Der 23. Juni 2016 ist eines der Schicksalsdaten Europas und ein wichtiges Datum für proeuropäische Bekenntnisse in der Popkultur. Damals stimmten die Briten per Referendum über den Brexit ab. Der Fotograf Wolfgang Tillmans, in London lebender Deutscher, hat damals mit einer künstlerischen Kampagne gegen die britische Abkehr von Europa demonstriert. »Protect The European Union« nannte er seine Serie von fünf Postern, die in 23 Sprachen erschien. Auf den Postern stellte er zum Beispiel die Frage »If Putin, Trump, Le Pen and Wilders want to dissolve the EU, where does that put you?«, oder erklärte: »My father’s English, my mum’s French, I studied in Vienna, now live in Denmark. It’s never been a hassle to do so. And I don’t want it to be.«

Der deutsche Fotograf und Künstler Wolfgang Tillmans wurde auserkoren, die EU cool zu machen. Seine politischen und proeuropäischen Poster sind auf das Sharen hin optimiert. © tillmans.co.uk

Nuancen im Pathos

Popkulturelle Bekenntnisse zu Europa sind gerne pathetisch. Subtiler geht’s auch. Die beiden Mainstream-House-DJs Jax Jones (Großbritannien) und Martin Solveig (Frankreich) haben ihr neues gemeinsames Projekt schlicht Europa getauft. Das Motto: »Stronger Together«. Und natürlich gibt es auch pessimistische Töne. Kurz nach dem Brexit-Referendum erschien Kate Tempests Album »Let Them Eat Chaos«. »Europe is lost, America lost, London lost. Still we are clamouring victory. All that is meaningless rules. We have learned nothing from history«, heißt es in ihrer Spoken-Word-Erzählung »Europe Is Lost«. Der verlorene Westen, der sich nach Tempest noch immer als Sieger der Geschichte wähne, daraus aber gar nichts gelernt habe, sorgte nur ein paar Wochen nach der Veröffentlichung für ein weiteres politisches Spektakel, als Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde. Ein Schock für den einen Teil der »westlichen Wertegemeinschaft« und eine wohltuende Disruption für den anderen.

Die alte Rede von dieser Wertegemeinschaft wird ganz offenbar auch von Leuten mit hoher Ironiekompetenz ernst genommen. Im März widmete sich Jan Böhmermann im »Neo Magazin Royale« der europäischen Idee in Form einer Glam-Rock-Hymne auf die »United States Of Europe«. Nicht ironiefrei. Allerdings schickte Böhmermann dem Musikvideo ein 14-minütiges proeuropäisches Pamphlet in Form eines John-Oliver-Essays vorweg. Mit relativ eindeutigem Fazit: »Spätestens seit dem Brexit wissen wir alle, wir sind irgendwie aus Versehen mit Europa rückwärts mit 180 und Licht aus in die Sackgasse reingefahren. Und jetzt stehen wir da mit zerbeultem Heck an der Wand und wundern uns, warum es rückwärts irgendwie nicht mehr weitergeht und schreien uns gegenseitig an in 24 Sprachen. Dabei gibt es doch eigentlich eine einfache Möglichkeit, da rauszukommen: Vorwärtsgang einlegen, Fernlicht an und Vollgas nach vorne – nein, nach oben, zu den Sternen. Wir brauchen kein Rumgejammere, kein EU-Geschimpfe. Es ist Zeit für neuen europäischen Spirit.«

Pullover und T-Shirts werden wie kein anderes Kleidungsstück für politische und popkulturelle Referenzen beansprucht. Derzeit dominant im Straßenbild: der EU-Hoodie. © Theresa Ziegler

An den unterschiedlichsten Stellen finden sich Hinweise auf ein ganz unironisches, aufrichtiges Europagefühl, das es bei vielen Menschen gibt, und das auch die EU-Institutionen gerne pflegen möchten. So unterstützt das Europäische Parlament eine Aktion des Berliner Creative Directors und Konzeptionierers Robert Eysoldt. Der hat pünktlich zur Europawahl am 26. Mai 2019 den Call »GIF Me Your Best« initiiert. Europäische Grafik- und AnimationsdesignerInnen, TypografInnen, IllustratorInnen, FotografInnen und KünstlerInnen sind aufgerufen, bis zum 24. Mai ihre GIFs zum Thema Europäische Union einzureichen. Das Motto: »Don’t take democracy for granted and GIF me your best!« Ausgerechnet GIFs. Jenes Grafikformat, das im Netz wie sonst nur das Meme für Ironie, Anspielung und die Verschleierung des Ernsts jedweder Angelegenheit steht, als demokratiepolitisches Statement. Und das, wo das EU-Parlament doch gerade erst einer Reform des digitalen Urheberrechts zugestimmt hat, die absolut nicht im Ruf steht, der Meme- und GIF-Kultur zuträglich zu sein. Wie sehr sich GIFs per Einreichwettbewerb zum Medium europäischen Integrationspops machen lassen, wird sich zeigen. Sie sind jedenfalls längst nicht das einzige.

Die Wahlen zum Europäischen Parlament finden von 23. bis 26. Mai 2019 statt, in Österreich wird am 26. Mai gewählt.

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