Das Popfest geht in die 15. Runde. Ende Juli zeigen die diesjährigen Kurator*innen Lisa Schneider und Markus Binder am Wiener Karlsplatz, was die Szene derzeit hergibt.
Schon vor der Programmpräsentation geben der Attwenger-Schlagzeuger und -Texter und die FM4-Journalistin im Interview einen Einblick in ihre Ausgabe.
Spoiler Alert!
Was war bisher eure schönste Popfest-Erinnerung?
Lisa Schneider: Ein Highlight war Farce auf der Seebühne. Ihr Sixpence-None-the-Richer-Cover war ein Wahnsinn. Mein anderer Lieblingsmoment war letztes Jahr mit Oskar Haag. Vor der TU, wo man nach den Konzerten herumsteht, hat er zu mir gesagt: »Lisa, nächstes Jahr spiel ich auf der Seebühne!« Und ich hab zu ihm gesagt: »Nur, wenn du eine Band aufstellst!« The rest is history…
Markus Binder: Spoiler! … Ein Highlight ist, um 21 Uhr auf der Seebühne zu spielen, was wir mit Attwenger gemacht haben. Das ist arg, weil du vor einem Meer von Köpfen stehst, und es ist irgendwie uferlos. Das Gelände hat kein Ende.
Schneider: Spielst du lieber, wenn’s finster oder wenn’s hell ist? Oder bei Sonnenuntergang?
Binder: Finster!
Schneider: Das haben wir gelernt beim Zusammenstellen des Line-ups: Alle wollen spielen, wenn’s finster ist. Ich verstehe es eh. Aber im Sommer am Nachmittag in der Sonne ist auch super.
Ohne zu viel Inhaltliches zu verraten, wie seid ihr an die Sache herangegangen? Was ist euch wichtig bei dieser Ausgabe?
Schneider: Viele Kurator*innenteams vor uns hatten einen roten Faden. Unser roter Faden ist: Wir haben einfach die besten Bands, die es gerade gibt. Unser Programm ist im besten Sinne … was ist das Wort, das ich meine?
Binder: Innovativ?
Schneider: Zutraulich! Wir sind in einer Post-Guilty-Pleasure- und Post-Genre-Zeit. Man darf sich einfach gute Lieder wünschen, man darf sich die Hits wünschen, die großen Bands und die neuen Spitzenbands. Unterm Strich ist es ein viertägiges Gratisfestival. Es soll einfach gute Unterhaltung sein. Für mich persönlich muss es nicht verkopft sein.
Binder: Hm. Mit »innovativ« meine ich, dass es dieses eine neue Ding ja nicht mehr in der Form gibt, wie es das bis vor 30 Jahren gegeben hat. Was ist das Interessante an den Dingen, wenn es keinen neuen Stil mehr gibt? Dass es alle möglichen Stile gibt! Und das, kommt mir vor, bilden wir ab.
Schneider: Wenn man das Popfest mit dem Showcase-Festival Waves Vienna vergleicht, dann geht es beim Waves um die ganz neuen Acts. Beim Popfest können auch Bands spielen, die schon seit zehn Jahren spielen. Da geht es mir gar nicht so sehr um Ageism. Wenn die 2024 ein gutes Album machen, dann sind sie einfach die fucking Band. Das war schon eine Diskussion im Vorfeld. Wir haben viele neue Acts, aber wir haben auch welche, die man natürlich kennt und die man sich einfach gern anschaut.
Beim ersten Popfest 2010 war es groundbreaking, so etwas Pop zu nennen und nicht einer Nische zuzuordnen. Höre ich bei euch heraus, dass das jetzt selbstverständlich und weiterhin Programm ist?
Schneider: Wir fischen in einem bestimmten Bereich. Ich arbeite schließlich bei FM4, natürlich spielen Bands, die man aus dem FM4-Kosmos kennt. Ein paar aber auch nicht.
Binder: Tu ja nicht bei Ö3 fischen, gö!
Schneider: Wir haben keine Rainhard Fendrichs gebucht. Es spielt kein Raf, es spielt keine Melissa Naschenweng. Das Popfest hat eine Farbe. Nicht, dass wir uns nicht getraut hätten, aber diese Acts sind halt für uns nicht das Popfest.
Binder: Was wir heuer machen, definieren wir als Pop. Die Bands, die wir eingeladen haben, haben diesen Anspruch, Pop zu sein.
Was wird heuer um die Konzerte herum passieren?
Schneider: Es gibt gerade ein Momentum im österreichischen Film. Manche unserer Stars auf der Bühne haben auch in Filmen gespielt. Wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir das reinbringen.
Binder: Musiker*innen als Schauspieler*-innen, das hat sich gerade ein bisschen verdichtet. Das greifen wir auf.
Markus, du hast ja einen Filmmusikpreis für »Club Zero« bekommen. Wie ist es dazu gekommen und warum, glaubst du, hat das so gut funktioniert?
Binder: Ja, ich wurde auch in die Filmszene reingezogen. Ich bin seit 18 Jahren mit Jessica Hausner zusammen. Für ihren Film »Little Joe« habe ich die Musik für den Abspann gemacht. Und für »Club Zero«, der vor einem Jahr in Cannes Premiere hatte, den ganzen Original Score. Dafür habe ich den Europäischen Filmpreis bekommen. Weil der Film in so einem erkennbar westlichen Setting spielt, wollte ich einen Sound, dessen Herkunft sich nicht definieren lässt. Auf unseren Tourneen mit Attwenger habe ich immer wieder Trommeln, Saiteninstrumente und andere Instrumente mitgenommen. Damit habe ich diese sehr speziellen, weirden Sounds eingespielt, aber so, wie man Techno spielt. Mit einem crossigen Zugang.
Du hast mit Attwenger auf der ganzen Welt gespielt. Jetzt bist du Kurator für ein hyperlokales Festival. Wie ergänzt sich das?
Binder: Pop ist ein globales Phänomen. Auch, wenn es ein österreichisches Festival ist, haben die Leute die Welt in sich. Das Phänomen Pop ist andock-able für alle. Du kannst immer ein bisschen verorten, wo es herkommt, aber letztlich hat Pop den Anspruch, überall zu sein. Natürlich ist die Challenge beim Popfest, etwas aus dem engen, kleinen Österreich zu holen. Aber es ist irre, was da passiert. Die Szene ist extrem vivace, interessant und lustig und eben nicht regionalistisch versumpft oder eingeschränkt.
Ihr komplettiert einander gut, weil du mit Attwenger eine sehr internationale Perspektive mitbringst. Und du, Lisa, bist die Spezialistin für die österreichische Musikszene überhaupt.
Schneider: Die »Soundpark«-Mama.
Wie ist dein Blick auf die Szene?
Schneider: Bei FM4 befasse ich mich jeden Tag damit, was wir spielen und was sich in der österreichischen Bubble tut. Ein Festival zu kuratieren, ist im besten Sinne eine halbwegs egoistische Angelegenheit. Natürlich werden alle unsere Lieblingsbands spielen. Aber als Kuratorin muss ich einen Schritt zurück machen und daran denken, dass nicht alle, die zufällig an der Seebühne vorbeilaufen, wissen, wer da spielt. Diese Perspektive einzunehmen war spannend. Wenn du dir die Bands unter diesem Gesichtspunkt noch einmal anhörst, merkst du, wie super die sind, weil sich das auch ausgeht, wenn man sie nicht kennt. Das Popfest hat ja keinen Erziehungsauftrag, sondern einen Herzeigeauftrag.
Und wie läuft eure Zusammenarbeit als Kurator*innenteam?
Schneider: Das war spitze, als ich erfahren habe, dass der Markus mein Mensch ist. Wir haben eine Hetz gehabt.
Binder: Vice versa, kann ich nur sagen. Allerdings waren wir uns natürlich nicht immer ganz einig.
Schneider: Manchmal war Überzeugungsarbeit notwendig. Kompromisse wie in jeder guten Beziehung.
Binder: Wir sind so: 🤞
Es gibt in Wien mittlerweile sehr viele kostenlose kulturelle Angebote für Stadtbewohner*innen. Diese Tatsache wird schon mehrere Jahre kontrovers diskutiert. Die Kritik lautet, dass sich das kannibalisiert. Was ist eure Meinung dazu?
Schneider: Wir haben das mitbekommen. Es ist außerdem Festivalsaison und die Bands müssen schauen, ob sich alles ausgeht.
Binder: Aus Musikerperspektive kann ich das nur begrüßen. Du spielst vor mehreren Tausend und am nächsten Tag vor 150 Leuten. So geht es aber allen Bands – that’s life.
Schneider: Es kann gar nicht zu viele Gratiskonzerte geben. Wichtig ist, dass die Bands bezahlt werden, und das werden sie am Popfest. Das Popfest gibt es seit 15 Jahren und es ist mitten in der Stadt. Die Größe, die Lage, das Aufgebot und die Arbeit, die reingesteckt wird – das ist ein anderes Level. Die Donauinsel ist eine ganz andere Idee mit einem anderen Publikum.
Binder: Der Andrang, am Popfest spielen zu wollen, ist irre. Es hat ein extrem gutes Standing. Beinahe zu gut, weil das auch mit der Erwartung verbunden ist, dass man hier Mördergagen bekommt. Aber das Budget ist vergleichsweise klein und es wird viel Arbeit investiert, damit dieses Festival stattfinden kann. Bands glauben vielleicht, dass sie reich und berühmt werden. Also berühmt schon, aber reich halt nicht.
Zwei der drei großen Majorlabels ziehen sich momentan immer mehr aus Österreich zurück. Gibt es in der Szene etwa nichts mehr zu holen?
Schneider: FM4-Acts, die bei Universal oder Sony gesignt waren, kommen schon unter, da mache ich mir keine Sorgen. Man müsste die Artists selbst fragen, wie viel es ihnen gebracht hat, bei einem Majorlabel zu sein. Die hätten es auch ohne geschafft.
Binder: Ich bin ultra indie. Mit Majors habe ich nie etwas zu tun gehabt. Es klingt mehr nach konzerninternen Entscheidungen.
Zu Beginn habt ihr uns eure bisherigen Höhepunkte verraten. Worauf freut ihr euch heuer am meisten?
Schneider: Auf den letzten Auftritt auf der Seebühne am letzten Abend.
Binder: Das wird oag.
Schneider: Eine Superstar-galore-Grandezza mit vielen Menschen auf der Bühne. Das wird one for the books.
Binder: Und dazwischen wird es interessant, aus einer theoretischen Situation in eine reale zu kommen. Wir überlegen und verhandeln jetzt schon monatelang. Das wird schön, wenn sich alle diese Überlegungen manifestieren in Musik, die gespielt wird.
Schneider: Wir werden da herumwuseln! Ich freu mich auch auf unsere Eröffnungsrede und auf unseren ersten Act.
Binder: Und natürlich hoffe ich angesichts der gerade schwierigen Zeiten, dass es friedlich abläuft.
Ist das Popfest eigentlich politisch?
Binder: Naja, allein schon die Behauptung, dass wir hier Pop machen, obwohl das eigentlich viel Anti-Pop ist, hat schon eine politische Dimension. Und es spielen natürlich auch einige Bands, die politisch sehr explizit drauf sind.
Schneider: Wir sind nicht die, die sich mit einer politischen Agenda hinstellen. Sondern wir suchen die Bands danach aus. Die Bands machen unsere Politik.
Auf der nächsten Seite findet ihr eine Timeline der bisherigen Popfest-Geschichte.