Postmoderner Lady-Di-Kult

Die Goldenen Zitronen sind mit "Die Entstehung der Nacht" auf Tour. Ursula Röck hat die Band fotografiert, während Reiner Kapeller Fragen stellte.

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Beim Pressetermin einige Stunden vor dem Auftritt im Fluc wirken Schorsch Kamerun (Gesang) und Ted Gaier (Bass, Gitarre) von den Goldenen Zitronen entspannt und gesprächig. Die Zufriedenheit über "Die Entstehung der Nacht" ist ihnen ins Gesicht geschrieben.

Drei Jahre sind seit der letzten regulären Studioplatte "Lenin" vergangen. im Gespräch sehen die Hamburger den wesentlichen Unterschied zu früheren Werken in einer forcierteren Ausrichtung ihrer Musik. "Ein eigenes Studio bietet einfach mehr Freiraum und löst vom Zwang etwas gutes in kurzer Zeit auf die Beine zu stellen. Ich würde diese Platte als vielschichtiger und ausgereifter bezeichnen", so Gaier. Auch Multitalent Schorsch Kamerun scheint die Arbeit am Album beflügelt zu haben. "Beim Theater entsteht jedes Mal vor einer Aufführung großer Druck, die Platte hingegen kann weiter geschliffen werden und wird erst freigegeben, wenn wir mit dem Gesamtprodukt zufrieden sind." Dieser Eindruck bestätigt sich auf "Die Entstehung der Nacht" zweifellos. Wirken die Titel zu Beginn noch mit einer gewissen Distanz, verliert sich dieser Eindruck zunehmend und lässt das jüngste Album zu einer – für Goldenen-Zitronen-Maßstäbe – beinahe einladenden Angelegenheit werden. Die Nacht ist für Gaier auch eine Art Zufluchtsort, in dem sich der Hörer wohlfühlen kann. Den musikalisch konsequenten Weg, den die Zitronen seit jeher verfolgen, empfiehlt Kamerun auch der Protestbewegung der Studierenden. "Man muss sich in gewissen Sachen durchsetzen und zu diesem Zeitpunkt keine Kompromisse eingehen. Es empfiehlt sich auf alle Fälle konsequent zu bleiben, oft bieten sich derartige Chancen nicht."

Zu fragwürdigen Ehren kommt auf "Die Entstehung der Nacht" auch Österreich, genauer gesagt der Kult um den verstorbenen Jörg Haider. Mit "Des Landeshauptmann’s letzter Weg" liefern die Zitronen den musikalisch eingängigsten Titel. "Das war ein Schnellschuss, ein Wave-Stück das mit Pathos arbeitet und eigentlich überhaupt nicht unserem Style entspricht", so Gaier. "Ich war während der Beerdigung in Österreich und sah die Zeitungen voll von Meldungen. Diese Mischung aus postmodernem Lady-Di-Kult und Kaiser-Franz-Joseph-Nostalgie, da mussten wir etwas dazu machen." Auch Kooperationen auf der CD sind für die Goldenen Zitronen fester Bestandteil, dieses Mal sind unter anderem die Postpunk-Ikone Mark Stewart und Melissa Logan von den Chicks Of Speed dabei. "Das hat sich ganz spontan ergeben, wir haben eigentlich auf jeder Platte Freunde und Bekannte. Begonnen hat das mit "Für immer Punk", das war ein richtig großes Zusammenkommen". Wenige Stunden später stehen die Goldenen Zitronen auf der Bühne der Fluc-Wanne und spielen vor ausverkauftem Haus. Auch wenn sie mit dem heute schlecht abgemischten Sound zu kämpfen haben, übertragt sich die Energie auf das Publikum. In Kostüme gekleidet schaffen sie eine Variation ihrer selbst und interagieren gekonnt mit den Fans. Von ihrer Faszination haben sie bisher kein bisschen verloren.

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