Muss man wirklich 24 Stunden online sein, Kapuzenpullis tragen und 4 Zilliarden Twitter-Follower haben um Online-Journalist zu werden? Wir haben Österreichs wichtigste Onliner im Round-Table gefragt.
Eine ideale Headline hat 55 Zeichen, ein idealer Artikel 1600 Wörter, ein idealer Facebook-Status hat unter 40 Zeichen. Verben sind in Headlines gut, zu etwas aufrufen auch, Nomen sind schlecht. Muss man derlei Zahlen und Regeln kennen?
Nana Siebert, Leitung woman.at: Man sollte noch viel mehr wissen: negative Superlative klicken besser als positive, Befehlston kommt immer ganz schlecht, ungerade Zahlen ("11 Tricks") bringen’s mehr als gerade … Ein paar Regeln sollte man natürlich schon kennen.
Die Wahrheit ist aber eine andere: Egal ob für Print oder Online – ohne Gespür für Geschichten und Text ist auch das längste Regelwerk völlig sinnlos. Als Online-Journalist muss man halt schneller lernen, dass für den User sehr oft ganz andere Themen relevant sind, als man selbst denkt. Das kann manchmal schmerzhaft sein.
Jergtisch: Ich habe sie bis jetzt nicht gekannt. Bei Satire spielen solche Regeln auch keine Rolle. Stattdessen muss die Headline den Witz transportieren. Die meistgeklickten Artikel sind in der Regel die lustigsten.
Hinterleitner: Ja, so wie man als Radiojournalist Regeln für das Schreiben einer Radionachricht kennen sollte oder als Fernsehjournalist die Bausteine einer Fernsehnachricht intus haben sollte oder als Magazin-Journalist die speziellen Regeln für einen Magazin-Geschichte. Ja, man sollte die Regeln sehr gut kennen, damit man sie auch bewusst brechen kann.
Hier ist ein Tipp wie du am Besten und Schnellsten lernst für das Web zu texten.
Jergitsch: Selber viel online lesen und versuchen, die Stile zu imitieren. In die eigenen Leser hineinversetzen. Beim Schreiben möglichst leicht verdauliche „Absätzchen“ verfassen, anstatt epochale literarische Höhenflüge hinzulegen – im Internet funktioniert die hohe Literatur einfach nicht, sorry. Goethe wäre heute wohl ein verkannter Nischenblogger.
Blumenau: Mische am besten klassische Print-Usancen mit dem sprechsprachlichen Radio-Gefühl für pfiffigere Ausdrucksformen!
Siebert: Texte! Am besten einfach selber so viel Lesen und Schreiben wie möglich…
Gröbchen: "Texten" ist vergleichsweise schnöde, "Schreiben" besser. Wie lernt man es? Indem man einfach anfängt zu schreiben. Und durchhält bis zum Schluss. Und sei es nur der Schluss eines kurzen Textes. So banal das klingt: es ist essentiell. Stilfragen sind schon etwas für Feinspitze – sowohl Autoren- wie Leserseitig.
Gibt es dafür eine empfehlenswerte formale Ausbildung? Welche Berufserfahrung und Karriereschritte sind dafür zu empfehlen?
Siebert: Nö, tolle Ausbildung gibt es meines Erachtens nach nicht. Selbst einen Blog zu schreiben halte ich schon für einen guten Anfang. Erfahrung mit Schnittprogrammen und Video sind auch keine schlechten Skills. Es zahlt sich auf jeden Fall aus Praktika zu machen. Auch wenn junge Journalisten dann oft von Praktikum zu Praktikum geschickt werden: Irgendwie muss man ja in einer Redaktion Fuß fassen und sich bewähren. Es führt leider kaum ein Weg daran vorbei.
Jergtisch: Es gibt keine formale Ausbildung. Womöglich nützt ein geisteswissenschaftliches Studium, da dort eine analytische, kreative Denkweise vermittelt wird. Kreativität und exzellente Schreibfähigkeiten sind eine absolute Grundvoraussetzung, aber alleine noch nicht ausreichend. Man muss ein Digital Native sein und die ungeschriebenen Regeln des Internets kennen. Das bedeutet, man muss ein Gefühl dafür bekommen, wie Internetuser einen Text konsumieren, warum sie einen Artikel anklicken, und warum sie ihn dann auf sozialen Netzwerken teilen.
Blumenau: Aktuell gibt es sicher noch keine formale Ausbildung dafür. Ob die entsprechenden Angebote der FH, etc. etwas können, wird sich erst in den nächsten Jahren rausstellen.
Götzenbrucker: Wir an den Universitäten empfehlen immer noch die universitäre Vorbildung, möglichst breites Wissen nach Humbold’schem Prinzip. Die Nischenausbildung sollte eher Training on the Job sein.
Troxler: Für uns in der Ausbildung ist es wichtig, den jungen Journalistinnen und Journalisten einerseits das nötige Handwerk für mehrmedialen Journalismus mitzugeben. Das heißt, sowohl gute Beiträge für Print, Online, Fernsehen und Radio machen zu können, aber auch eine Geschichte auf mehreren Kanälen erzählen zu können. Denn diese Fähigkeit wird in Zukunft wichtig sein, gerade im Online-Journalismus sind Videobeiträge zum Beispiel eine interessante Bereicherung für viele Geschichten und werden von den Rezipientinnen und Rezipienten auch gewünscht. Andererseits muss man als Journalist mit den technischen Entwicklungen Schritt halten können, gleichzeitig aber auch deren Relevanz für die Gesellschaft kritisch hinterfragen können, um nicht blind irgendwelchen Trends hinterher zu rennen.
Ist Online-Journalismus ein 24-Stunden-Job?
Siebert: Nein, ist es nicht. Aber wir sind alle nahezu 19 Stunden am Tag online (je nach Schlafgewohnheiten ;-). Ist man Journalist, dann interessiert man sich für vieles, was in der Welt passiert. Und man findet vieles mitteilenswert, sonst hätte man den Job ja nicht gewählt. Ergo lässt einen die Arbeit vermutlich nie ganz los.
Jergitsch: In gewisser Hinsicht denke ich schon. Es gibt online ja keinen Redaktionsschluss. Wenn irgendwo auf der Welt etwas passiert, dann erwarten sich die Benutzer, innerhalb einer Stunde davon lesen zu können, auch Sonntags um 22 Uhr.
Blumenau: Die Frage ist komisch – Journalismus an sich ist ein 24-Stunden-Job. Und das war’s beim Radio zum Beispiel immer schon. Think outside the Printmedium please…
Götzenbrucker: Das darf es schon von arbeitsrechtlicher Seite nicht sein. Gleichstellung mit anderen Journalismen wie Print und Fernsehen sind anzustreben.
Hinterleitner: Nein, das geht auch nicht. Es ist so wie in jedem anderen Job, wo Erreichbarkeit und ständiges Arbeiten möglich ist, dass Arbeit und Freizeit ineinander übergehen.
Gröbchen: Was ist ein 24-Stunden-Job? Vielleicht eine Berufung. Kein Job. Aber: den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.