Muss man wirklich 24 Stunden online sein, Kapuzenpullis tragen und 4 Zilliarden Twitter-Follower haben um Online-Journalist zu werden? Wir haben Österreichs wichtigste Onliner im Round-Table gefragt.
Was muss ein Redakteur mitbringen? Gespür für Bild-Content? Video? Schnelligkeit? Eigene Reichweite auf Twitter und Facebook?
Siebert: Das A und O ist ein Gespür für gute Geschichten sowie eine gute, im besten Fall meinungsstarke und/oder emotionale Schreibe. Gefühl für Bilder und Video-Erfahrung ist auch nicht übel. Social Media-Reichweite: sehr wichtig; Ahnung von Analytics: wunderbar. Schnelligkeit ist manchmal nicht schlecht, klar. Aber mir geht diese Getriebenheit im News-Bereich ziemlich auf die Nerven. Dass derjenige gewinnen soll, der den Agentur-Content um Promille schneller live klopft. Mir ist ein Redakteur lieber, der vielleicht länger braucht, aber einen kreativen, eigenständigen Zugang wählt. Selbst recherchiert. Oder besser formuliert. Nenn‘ mich romantisch: Aber ich glaube an Qualität und nicht an Schnelligkeit.
Jergitsch: Ein guter Online-Redakteur muss denke ich alle Punkte erfüllen, über die ich beim Punkt „Ausbildung“ schon gesprochen habe. Eigene Reichweite auf Twitter und Facebook halte ich für maßlos überbewertet. Zum Beispiel: von 1000 Twitter-Followern sind vielleicht 10% zum Zeitpunkt X online. Wenn ich zum Zeitpunkt X einen Artikel poste, sehen also 100 Follower den Tweet. Davon klicken vielleicht 20 Leute den Artikel an. Einer klickt auf „Retweet“, seine 100 Follower erhalten den Link, das generiert noch einmal 2 Klicks. Das sind also 22 Klicks, Gratulation. Etwas anders sieht die Situation natürlich aus, wenn Sie Armin Wolf heißen und knapp 150.000 Facebook-Likes auf ihrer Seite verzeichnen. Damit kann man schon wahnsinnig viele Leute innerhalb kürzester Zeit erreichen.
Blumenau: Die anfangs erwähnten Fähigkeiten und die Social Media-Reichweite muss man sicher mitbringen, vor allem aber dazu noch eine eigenständige Persönlichkeit und am allerbesten ein Alleinstellungsmerkmal. Aufbau einer Medien-Persona, die anderen als Vertrauensperson in Sache xy gilt.
Hinterleitner: Neugierde, Offenheit, Gespür für Geschichten, so wie in jedem anderen journalistischen Job auch, dazu noch ein tiefergehendes Verständnis für die Möglichkeiten, die das Internet bietet. Und da gehört alles dazu, sei es Social Media, selbstgedrehte kleine Videos oder datenjournalistische Aufbereitung, User Generated Content etc., auch wenn er nicht alles beherrschen muss, er sollte die Prinzipien dahinter verstehen.
Listenjournalismus – Gute oder allerbeste Errungenschaft des Online-Journalismus‘?
Siebert: Listenjournalismus gab’s früher in Print-Publikationen auch schon, es kommt nur eben Online besser. Insofern ist es keine Errungenschaft, sondern eine lustige Spielart.
Jergitsch: Aus journalistischer Sicht nicht unbedingt wertvoll, aber als Unterhaltungsjournalismus durchaus legitim. Wenn ich auf Facebook lese: „30 echt peinliche Familienfotos“, dann klicke ich darauf. Nicht, weil ich packenden Investigativjournalismus erwarte, aber einige Minuten Ablenkung vom Alltag und vielleicht den ein oder anderen Schmunzler. Die Dominanz des Listenjournalismus zu kritisieren ist so als würde man die Schwerkraft kritisieren.
Blumenau: Listenjournalismus ist einfach nur ein Klickratenpimp. Erfolgreich und langweilig.
Götzenbrucker: Es ist die neueste und noch dazu unspannende Antwort auf den Information Overload und eine Komplexitäts- wie Persönlichkeitsreduktion.
Gröbchen: Listenjournalismus? Ich ahnte nicht, dass das als eigene Kategorie gilt 😉
Wie es zu der aktuellen Entwicklung im Journalismus kam, und welche Organisationen dabei eine wichtige Rolle spielen, kann man in unserer aktuellen Coverstory nachlesen. Die wichtigsten Regeln dazu haben wir auch für euch zusammengefasst. Der Standard hat auch etwas dazu geschrieben. Den Rest kennt ihr ja aus eurer Timeline.
