Man muss auf das Kunsthistorische Museum einprügeln, diesen kalten, unnahbaren Ort, damit man es im Kopf neu aufbauen kann. Die Kinodoku »Das große Museum« will genau das und zeigt das KHM von ganz erstaunlichen Seiten.
Die Doku »Das große Museum« zeigt das Kunsthistorische Museum in Wien von innen, den Alltag im KHM. Aber nicht als reine Dokumentation, sondern durch geschickte Montage und Inszenierung interpretiert der Regisseur, Johannes Holzhausen, das Museum mit einer gewissen Ungezwungenheit. Man sieht die fast intime Handhabung der Kunstobjekte der Mitarbeiter – es wird andächtig gepinselt, Schaufenster geputzt, draußen Unkraut gejätet. Kontraste durchziehen den ganzen Film. Zwischen der Stille und Andacht im historischen Gebäude und den lauten und ungestümen Renovierungsarbeiten der Kunstkammer, deren Neuentstehen Holzhausen und sein Team filmisch begleitet.
Zwischen Bären, Käfern und »hoher Kunst«
Er zeigt die Beziehungen und Organisation der Mitarbeiter untereinander und auch deren Schattenseiten – zwischen Natur- und Kunstgegenständen, die den ständigen Kampf gegen den Verfall dieser wertvollen Objekte symbolisieren, bis hin zur Suche der Mitarbeiter der Restaurier-Werkstätte nach Käfern und genauestes Monitoring jeder einzelnen Motte. Oder Sissis persönlicher Bärenteppich, der immer wieder präpariert werden muss. Wer hätte gedacht, dass das KHM eine eigenen Naturwissenschaftler hat, der alles genauestens unter die Lupe nimmt, was an Kaisers Erbe knabbert und nagt? »Das große Museum« erzählt es wortlos.
Versuchte Zufälle
Hinter der aufwendigen Arbeit, die in einem Museum tagtäglich passiert, wird nicht bloß ein Einblick gewährt. Die kameratechnische Darstellung der chirurgischen Präzision, mit der die Objekte gehandhabt werden, liegt – neben großartiger Regiearbeit – auch an der Kameraführung von Joerg Burger und Attila Boa. Der Stil des Filmes ist geradlinig. Dass der Film vom Direct Cinema Regisseur Frederick Wiseman inspiriert wurde, spürt man an den langen, ungeschnittenen Kamerafahrten durch die scheinbar unendlichen Gänge des Museums. Es ist – im Kontrast zu Wiseman – aber kein Mittel zur Darstellung von Authentizität. Es soll bloß die »wunderbare Platzverschwendung« verdeutlicht werden.
Das ist Holzhausens subtile Doppeldeutigkeit gegenüber dem KHM, die bei aufmerksamer Beobachtung auch an einigen Stellen im Film erlebbar ist. Trotz seiner Inszenierung sei der Film durch und durch dokumentarisch – es handle sich ja um eine Wahrnehmung der Realität, auch wenn die Protagonisten sich selbst spielen.
Das Museum »entmächtigen«
Mit der neuen Kunstkammer, deren Kronleuchter nun in modernem Design erstrahlen, werden zeitgenössische Akzente gesetzt. Trotzdem spürt man an der Ausdrucksweise und dem Verhalten der Figuren ihre traditionelle Einstellung zum Museum. Das monarchische Erbe scheine dem Haus in den Knochen zu stecken, die Rangordnung unter den Mitarbeitern entspräche einem hierarchischen Denken, das mit dem kaiserlich-königlichen Erbe verhaftet ist, entgegnet Holzhausen.
Er selbst hat Kunstgeschichte studiert und war dem Gebäude immer skeptisch gegenüber eingestellt. Die imperiale Architektur habe ihn regelrecht abgeschreckt; außerdem ist er in den Räumen immer müde geworden. Die Dokumentation ist auch ein Autorenfilm und äußert sich darin, wie Holzhausen ihn gemacht hat und warum er ihn so gemacht hat. Damit wolle er ihm diese Sakralität nehmen, es demokratisieren und auf das handfest Materielle reduzieren. »Ich wollte auf das Museum einprügeln, damit es wieder aufgebaut wird.«
»Das große Museum« von Johannes Holzhausen läuft ab 5. September in unseren Kinos.
Die Autorin ist auch ab und zu mal auf Twitter: @ms_grasshopper