Die Ressource Raum wird in einer wachsenden Stadt wie Wien immer begehrter. Was kann Zwischennutzung leisten, wie viel darf Raum kosten und welche Funktion sollte die Stadt selbst übernehmen?
Man nehme ein leerstehendes Gebäude, Eigentümer, die für einen gewissen Zeitraum ohnehin keine Nutzung dafür vorgesehen haben oder auf Genehmigungen zur Sanierung warten, aber nicht auf den Betriebskosten sitzen bleiben wollen und Menschen, die günstigen Raum suchen – so einfach könnte Zwischennutzung umgesetzt werden. Etwa dieses Rezept ging bei Lukas Böckle und Angie Schmied, damals noch Architekturstudierende, bereits 2010 auf. Mit Trust 111 entstand in der Schönbrunner Straße ein Vorzeigeprojekt, von dem heute, lange nach Ende der Nutzung, noch immer gesprochen wird. Angestoßen wurde das Projekt aus der Not: Als die Studierenden ihre Zeichensäle aufgrund der Raumknappheit an der TU verloren hatten, begaben sie sich gemeinsam auf die Suche nach günstigem Raum – erfolgreich. Aus einer einzelnen Etage wurden mehrere, am Ende durften die Studierenden fast das gesamte Haus nutzen. »Die Schönbrunner Straße hat wahnsinnig viel bewirkt. Dadurch wurde das Thema zum ersten Mal wirklich präsent in Wien. Dort waren Nutzungen möglich, die in hier davor eher nicht denkbar waren, weil Wien einfach konservativer ist, als beispielsweise andere deutsche Städte«, erzählt Angie Schmied, eine der Mitgründerinnen von Nest, einer Agentur, die Leerstand vermitteln und aktivieren will. Mittlerweile haben sich dem Thema mehrere Akteure angenommen: Auf universitärer Ebene etwa die TU, die auf dem leerstehenden Gelände in St. Marx, das ursprünglich für den ORF vorgesehen war, ein mobiles Stadtlabor eingerichtet hat, auf Stadtebene die Serviceagentur Kreative Räume und daneben noch viele kleine private Akteure.
Kein Leerstand im Leerstand
Beteiligt am Projekt in der Schönbrunner Straße war auch Margot Deerenberg, die mit dem Verein Paradocks aus dem alten Bundesrechenzentrum in der Marxerstraße das Packhaus formte, das heute ebenfalls als Pilotprojekt in Sachen Zwischennutzung gilt. Das ehemalige Bürogebäude beherbergt auf 2.300 Quadratmetern aktuell etwa 80 Klein- und Einzelpersonenunternehmen, in erster Linie aus der Kreativwirtschaft. Der Vertrag mit dem Immobilieneigentümer wurde gerade verlängert, mittlerweile hat Paradocks teilweise in das Haus investiert. Neben den Büros können von allen Parteien auch Gemeinschaftsräume, Besprechungszimmer und sogar ein Bewegungsraum genutzt werden. Der Preis pro Quadratmeter liegt aktuell zwischen zehn und dreizehn Euro – damit ist das Packhaus gewissermaßen die Luxus-Variante einer Zwischennutzung. An Nachfrage mangelt es dennoch nicht. »Wir haben aktuell eine lange Warteliste und bekommen jede Woche neue Anfragen«, so Veronika Kovacsova von Paradocks.
Learning by Doing
Die hohe Nachfrage nach vergleichsweise günstigem Raum war letztlich auch der Grund für Lukas Böckle, Angie Schmied und Magdalena Greis, mit Nest die erste Agentur für Leerstandsnutzung ins Leben zu rufen. Seit der Gründung haben sie nun 2.500 Anfragen gesammelt – mehr, als sie zu dritt vermitteln können. Derzeit betreut Nest zwei Häuser, zwei Geschäftslokale und die Creau, ein Zwischennutzungsprojekt in alten Stallungen nahe der Trabrennbahn. Bei allen Objekten läuft der Vertrag auf die Agentur selbst, zusätzlich werden auch Strom, Gas, Versicherung und bei Bedarf das Internet auf Nest angemeldet und dann unter den Nutzern aufgeteilt. Einfach sei das nicht immer. »Die größte Herausforderung war sicher die Creau. Dort gab es zuerst nur Sickergruben und mit der Elektrik hatten wir viele Probleme. Zwischennutzung ist eigentlich immer Learning by Doing und ein Anpassen an die Gegebenheiten«, erzählt Schmied. Bei den Bürogebäuden sei das Internet aktuell die größte Schwierigkeit, für die man noch immer keine perfekte Lösung gefunden habe. Die meisten sinnvollen Verträge haben eine zweijährige Bindung, die die Nutzungsdauer der Gebäude übersteigt. Wie lange ein Objekt zur Verfügung steht, kann im Vorfeld oft schwer abgeschätzt werden. »Wenn es um Projekte geht, bei denen eine Sanierung geplant ist, ist die Dauer der Zwischennutzung oft davon abhängig, wie schnell der Bauträger verschiedene Genehmigungen bekommt und das sind Fristen, die nicht absehbar sind. Meist wird eng kalkuliert und von der Minimalfrist ausgegangen und dann werden Verträge öfter verlängert«, erklärt Schmied.
Wie teuer darf temporärer Raum sein?
Abstriche gehören gewissermaßen dazu – neben der temporären Verfügbarkeit werden viele Objekte auch zur Verfügung gestellt, weil sie für eine Vermietung aufgrund der Gegebenheiten nicht in Frage kommen. Investiert wird meist nur marginal, etwa um für die Wasser- oder Stromzufuhr eine Zwischenlösung oder für das Internet eine Zwischenlösung zu finden. Im Gegensatz zu einem klassischen Mietverhältnis fallen für die Nutzer nur die Betriebskosten und die laufenden Kosten an. Für einen Schreibtisch in der Tautenhayngasse, einem von Nest betreuten Projekt, zahlt man so nur rund 60 Euro im Monat, ein Preis, der weit unter den Angeboten von klassischen Co-Working-Spaces liegt. Reich wird die Agentur damit allerdings nicht. »Wir versuchen, einen Verwaltungsaufwand zu decken, aber der tatsächliche Aufwand wird nicht gedeckt, deshalb muss hier mit Stadtentwicklungsprojekten querfinanziert werden. Man kann den Raum sonst einfach nicht so günstig anbieten«, so Schmied. Die Frage nach den Kosten ist dabei eine recht schwierige, festlegen, was zwischengenutzter Raum kosten darf, wollen sich nur wenige. »Rechnen muss man mit mindestens drei bis vier Euro pro Quadratmeter – je nach Nutzungsdauer und Immobilie können es auch bis zu sechs Euro sein«, erklärt Christian Knapp. Er ist Teil der Serviceagentur Kreative Räume, die vor knapp einem Jahr von der Stadt Wien ins Leben gerufen wurde und als Serviceagentur Projektideen, Immobilien und Nutzer sowie private Leerstandsinitiativen zusammenführen soll und beratend tätig ist. Die Vorstellungen und Bedürfnisse der Raumsuchenden seien dabei sehr unterschiedlich – ähnlich wie die vorhandenen Räume. Neben dem Zusammenführen von Raumsuchenden, Raumunternehmern wie Nest und Räumen steht zudem auch die Beantwortung von Fragen rund um rechtliche Themen im Vordergrund ihrer Arbeit.
Lähmende Leerstandserhebung
Während Zwischennutzungsprojekte in der Umsetzung fast romantisch klingen, ist die Suche nach Raum und der Wunsch, diesen zu beleben, letztendlich auch oft ein Streitthema zwischen den Akteuren – nicht nur in Österreich. Vor rund sieben Jahren schmückten etwa Besetzer des Hamburger Gängeviertels um die Weihnachtszeit 24 Türen zu ungenutzten Gebäuden und starteten zeitgleich das Projekt »Leerstandsmelder«. Das Onlinetool sollte das Ausmaß an Leerstand in Hamburg aufzeigen, breitete sich innerhalb kürzester Zeit auf ganz Deutschland aus und ist mittlerweile auch in Wien angekommen. 295 Leerstände wurden in der österreichischen Hauptstadt bisher eingetragen – das Spektrum reicht von brachliegenden Wohngebäuden über verwaiste Geschäftslokale und Gemeindebauten bis hin zu einem ungenutzten Kino. Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit hat diese Datenbank freilich nicht, aber sie zeigt auf, dass auch auf der Immobilienseite durchaus Potenzial für mehr Nutzung da wäre. Bevor dieser Leerstand belebt werden kann, muss zunächst aber viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. »Immobilieneigentümer wollen eine Handlungs- und Planungssicherheit. Die meisten Eigentümer wissen selbst nicht, wie lange ein Gebäude leer steht«, so Christian Knapp. In den Fokusgebieten bedeutet das für die Kreativen Räume auch viel Klinkenputzen und Durchtelefonieren – eine Sisyphosarbeit, wie Ula Schneider zugibt. Aktuell konzentrieren sich die Kreativen Räume auf die Kreuzgasse, den Floridsdorfer Spitz sowie die Praterstraße. »Die Fokusgebiete haben sich aus der Wiener Stadtentwicklung ergeben. Wir sind in den Gebieten aktiv, wo es schon ein besonderes Interesse vom Bezirk, dem Bezirksvorsteher, Agendagruppen oder aktiven lokalen Initiativen gibt, die wir dann bei der Raumsuche unterstützen«, erklärt Christian Knapp. Neben der Erhebung von Leerstand will man sich künftig darauf konzentrieren, mit Best Practise-Beispielen mehr Anreiz zu schaffen und die oft in Zusammenhang mit Zwischennutzung erwähnte Win-Win-Situation anhand von Beispielen zu zeigen.
Was macht die Stadt?
Trotz der Installierung einer eigenen Serviceagentur, die vorerst auf drei Jahre bestellt ist und mit insgesamt 450.000 Euro subventioniert wird, muss sich die Stadt Wien in Sachen Leerstandsmanagement auch Kritik gefallen lassen. Die Forderung der Öffnung der Gassenlokale steht im Raum, die Frage nach tatsächlichem Leerstand wurde durch eine Erhebung im Wohnungssektor zwar geklärt, offen sind für Zwischennutzungsprojekte aber, auch im öffentlichen Sektor, bei Weitem nicht alle Akteure. Wie es funktionieren könnte, zeigt sich am Beispiel des Sandleitenhofs, einem Gemeindebau von Wiener Wohnen, in dem Kulturprojekte wie etwa das Zoom Kindermuseum, Soho in Ottakring oder die Kunstbiennale Kiev temporär Platz fanden. Letztendlich bleibt Zwischennutzung wohl auch in den nächsten Jahren ein Phänomen, das von Best Practise-Beispielen wie diesen lebt, aber nicht zum Standardmodell im Umgang mit Leerstand werden kann – nicht zuletzt, weil die Zahl der handelnden Akteure auf der Vermittlungsseite ebenso wie die jener Immobilienbesitzer, die sich darauf einlässt, gering ist. Je begehrter die Ressource Raum in den nächsten Jahren wird, desto interessierter könnte Zwischennutzung nicht nur für Nutzer, sondern auch für die Stadt werden, bei Einführung der aktuell diskutierten Leerstandsabgabe könnte sich auch die Entscheidung für den ein oder anderen Privaten in Richtung Zwischennutzung bewegen. Best Practise-Beispiele sollte es dann genug geben.
Hier geht es zum zweiten Teil unserer Coverstory, dem Zwischennutzungsprojekt am Wiener Nordwestbahnhof.