Margit Mössmer holt Künstler von der Straße. Im Interview berichtet sie über Streetart in Wien und die Wechselbeziehung zwischen Museum und Straße.
Über sein Artist-in-Residence Programm stellt das quartier21 im MuseumsQuartier Wien Studios für internationale Künstler aus verschiedenen Sparten zur Verfügung. Einige Plätze im Jahr gehen dabei an Street Artists. So findet Streetart in Wien in den letzten Jahren den Weg in die klassische Kunstförderung. Margit Mössmer ist für die Vergabe der Plätze an diese Street Artists zuständig, außerdem beschäftigt sie sich aus der Kunstvermittlungsperspektive und durch die Redaktion der Betonblumen mit internationaler Urban- und Streetart in Wien.
Ist es heute noch etwas Ungewöhnliches für öffentliche Kulturinstitutionen wie das quartier21 Streetart ins Programm aufzunehmen?
Für viele der KünstlerInnen, die bei uns Artist-in-Residence sind, ist es immer noch das erste Mal, dass sie als Künstler eingeladen werden und nicht über Freundeskreise auf eigene Kosten in eine Stadt fahren und dort ihre Arbeiten machen. Wir haben eine Street Art Passage im MQ-Areal, die bereits von verschiedenen Kuratoren wie zum Beispiel Sidney Ogidan (Kurator des BLK River, Anm. d. Red.) oder Nick Platzer (Betreiber der Inoperable Gallery, Anm. d. Red.) betreut wurde. Begleitend zu den Künstlern, die dort ausstellen, geben wir dann die Betonblumen Hefte heraus (Herausgeber: Vitus Weh), die man u.a. an einem Automaten vor Ort erwerben kann. Wenn man davon ausgeht, dass das Museum die Stadt ist und die Künstlerinnen ihre Zeit in Wien nutzen um hier zu arbeiten, dann sind die Betonblumen ihr Ausstellungskatalog. Es ist für die meisten etwas Besonderes auch mal in dieser Form, konzeptionell, dokumentiert zu werden.
Was hat die Streetart davon im Museum zu hängen und was versprechen sich die Museen und Galerien davon sie aufzunehmen?
Über Streetart sagt man, sie sei eine demokratische Kunstform, weil sie jeden treffen kann, man muss dafür nicht ins Museum gehen. Umgekehrt sucht sie mittlerweile aber auch den Weg ins Museum. Vielleicht schafft das wiederum einen breiteren Kanon und mehr Freiheit für die Museen. Für die Streetart bringt es den Vorteil, dass die Arbeiten auf der Straße anders wahrgenommen werden, wenn die Künstler im klassischen Ausstellungskontext vertreten waren. Dann entfällt vielleicht irgendwann die Diskussion darüber, ob es jetzt Kunst ist oder nicht. Die Styles und Formate konzentriert in einer Galerie zu sehen schärft den Blick für das, was draußen passiert. Denn Streetart ist vielleicht grundsätzlich etwas niederschwelliger, als die Kunst aus dem klassischen akademischen Kontext, aber ganz ohne die Codes zu kennen, ist es trotzdem manchmal schwer zu lesen. Straße und Museum stehen immer in einer Wechselbeziehung. Wenn du das ganz losgelöst siehst, wird es dir nicht viel mehr geben, als den gestalterischen Aspekt, für den du auch einen Typographen oder eine Grafikerin engagieren könntest.
Aus welchem Umfeld kommen die Streetartists und was treibt sie um?
Die meisten haben einen Graffiti Background. Viele die ich kennenlerne haben studiert, häufig Architektur, oder Kunst. Streetart ist dann oft eine Lebensentscheidung. Die Künstlerinnen und Künstler leben nicht selten bewusst reduziert, um sich ihre Arbeit leisten zu können. Wenn diese Leute dann raus gehen und sozialpolitische Aussagen treffen, hat es auf dieser Ebene die Realness, die vielleicht irgendwann bei manchen aus dem Hip Hop kommenden Graffiti Aktivitäten verloren gegangen ist.
Inhaltlich sehe ich bei der Streetart, wie sie bei uns passiert immer wieder historische Parallelen zu den Situationisten, die sagten: „Unter dem Pflaster liegt der Strand.“ (Sous les pavés, la plage). In diesem Sinn sind heute oft die Übermöblierung der Stadt, wie die Wände der erneuerten Friedensbrücke, oder raumgreifende Parkbank/Blumenkübel-Gestaltungsexzesse, ein Thema. Bei der Streetart geht es oft ums wegnehmen, verrücken, darum Sehgewohnheiten zu brechen.
i>Mehr über Urban- und Streetart sowie das Interview mit Rabbit Eye Movement-Gründer Nychos.