„Investment Punk. Warum ihr schuftet und wir reich werden“ ist der Titel des Buches von Gerald Hörhan, Eigentümer und Vorstand eines in Wien ansässigen Corporate Finance Unternehmens. Kapitalistenfresser Rainer Krispel erwägt die Änderung seines Speiseplans.
Private und Staatsverschuldungen sind Normalität. Eine Normalität, die paradoxerweise immer wieder in „Krisen“ existenzbedrohend verloren geht. Was zunehmend die paranoiageschwängerte Ahnung einer Zukunft vermittelt, die sich vor lauter Hypotheken, mit denen sie schon belastet ist gar nicht mehr manifestieren kann. Dass die aktuelle Krise – oder befinden wir uns nicht eigentlich schon in der nächsten? – viel damit zu tun hat, dass die US-amerikanische Mittelschicht ihre außer Kontrolle geratenen Konsumbedürfnisse seit langem auf Pump befriedigt hat, ist Fakt. Wie der Umstand, dass Kapital und Geld während dieser Krise geschaffen und verdient wurden – und werden.
Gerald Hörhan formuliert in seinem erstaunlichen Buch „Investement Punk. Warum ihr schuftet und wir reich werden“ (edition a), das Anfang Februar im Wiener Cafe Prückel bei einem Pressegspräch vorgestellt wurde gleichsam vorneweg ökonomische Grundregeln, die in ihrer Einfachheit verblüffen. In Kapitel minus Vier schreibt er: „Grundregel eins lautet: Man muß auf Dauer mehr einnehmen, als man ausgibt. Grundregel zwei lautet: Man muss Schulden bezahlen, und zwar nicht durch Aufnahme neuer Schulden.“
Für jemanden wie mich, der den Song „Do They Owe Us A Living?“ der britischen Anarcho-Punx Crass auswendig kann und der sich gerne zu (nicht nur) inneren Monologen aufschwingt, in der die Abschaffung der Geldwirtschaft, die Enteignung des Kapitals und das Austreiben von Bankern, Spekulanten und ähnlichem Geschmeiß mit nassen Fetzen unmittelbar bevorstehen, birgt die Lektüre des Buches und die Begegnung mit Hörhan selbst noch mehr Überraschendes. Sollte ich mir nicht längst eingestehen, dass es meine eigene Entscheidung, dem „Entweder-Oder“ (Selbsständiger oder Angestellter) durch ein „Weder-Noch“ zu entgehen mich zum zusehends verschuldeten Zinsenzahler meiner Bank gemacht hat? Dass meine Wut auf die gestopften Großkopferten und ihre korrupten Abzock-mechanismen nur Ventil meiner Ohnmacht und wirtschaftlichen Impotenz sind? Hörhan? So stelle ich mir „den Feind“ und „das Böse“ bedingt vor. Was nicht heisst, dass ich auf die Erfahrung Mietschuldner in einer der 45 Wohnungen, die dieser besitzt, zu sein, erhöhten Wert lege.
Gerald Hörhan, Jahrgang 1975, errang als Jugendlicher eine Silbermedaille bei der Mathematik-Olympiade, schloss in Harvard Studien in angewandter Mathematik und Betriebswirtschaft ab. Er steht heute nach Wallstreet-Erfahrungen bei JP Morgan seiner eigenen Firma Pallas Capital Holding AG vor. Der schmissige Titel vom „Investment Punk“ ist dabei nicht nur geschickter, Aufmerksamkeit generierender Marketing-Schachzug. Hörhan schreibt erfrischend unapologetisch. Seinen verbalen und inhaltlichen Furor auf die entindividualisierte Mittelschicht / Mittelklasse (die er als historisch und geographisch beschränkten Sonderfall definiert) und ihre (wirtschaftlichen) Konventionen teilen viele Punx. Selbst wenn sie sein Ausstiegsszenario – nach obenhin, dort wo Reichtum als wirtschaftliche Unabhängigkeit Freiheit und Individualität ermöglichen – wohl eher instinktiv, als aus Prinzip negieren würden. Hörhan lebt gerne gut, leistet sich gute Autos, die er – Überraschung! – mitunter gebraucht, weil so günstiger kauft, spürt dabei dem Sein und Schein von „Reichsein“ auf den Zahn, weil er das „Hamsterrad der Reichen“ genauso verachtet wie jenes, in das sich Lohnempfänger begeben.
Hörhan, der unter anderem die Post und den Betreiber des „Saunaclubs“ Goldentime bei ihren (geplanten) Börsengängen beraten hat, läßt in den schnell zu lesenden 189 Seiten seines Buches deutlich Prinzipien erkennen. Eine Moral, eine grundlegende Ethik seiner Geschäfte. So wie einst der selige Udo Proksch formulierte „dass jedes Geschäft eine Ideologie braucht.“ O-Ton Hörhan, der an der Wiener Wirtschafts-Uni Kurse für „Corporate Finance“ abhält: „Für mich war das meine Art der Weltverbesserung: Etwas gegen die systematische Unwissenheit der Gesellschaft in Geldsachen zu tun und damit einen Beitrag zur Befreiung des Individuums zu leisten.“
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Gerald Hörhan ist bei aller Eitelkeit denkbar wenig daran interessiert, sich als „guter Mensch“ darzustellen, so wie das Buch nicht suggeriert, dass einem seine Form des Kapitalismus nach der Lektüre wie von selbst offen steht. So sehr er Wirtschaft und Geldleben entmystifiziert, so sehr lässt er keinen Zweifel daran, dass viel (Rechen-)Arbeit, Recherche und Denkarbeit dahinter steckt, sich tatsächlich wirtschaftlich nach oben zu bewegen. Und daran, dass es verdammten Spass macht Geld zu haben. Hörhan hofiert dabei eben nicht den unerträglichen Hausverstand. Selbstverständlich existieren in seiner Welt „intelligente Schulden“, dabei blendet er nie aus, dass im großen Stil Wirtschaftstreibende crashen – wovon nicht selten er profitiert …
Der eigentliche Punk-Aspekt des Buches sind weniger Hörhan’s Ausflüge zu Festivals wie dem Novarock oder dem Metal-Großtreffen in Wacken, von dem er im gut/großbürgerlichen Prückel bei einer Melange launig erzählt und die für ihn wohl die Entsprechung der vielbeschworenen „kleinen Fluchten“ mit umgekehrten Vorzeichen sind. Er liegt vielmehr in der ungeschminkten Beschreibung von vermeintlich undurchschaubaren Sachverhalten und Abläufen. In der Qualität, die überlebensgroße ideologische Projektionsfläche „Wirtschaft“ als für jeden selbst – mit entsprechendem Einsatz – begehbar begreiflich zu machen. Einem die Grundrechenarten als taugliches Instrumentarium zur Lösung der Gleichung „Leben“ mit seinen vielen Unbekannten (zurück) zu geben. Letztendlich erzählt Hörhan von Selbstermächtigung und Selbstbestimmung – und das ist Punk, Alter!
„Investment Punk“ kann als ein Aufruf, als eine Anregung zur (wirtschaftlichen) Autonomie gelesen werden und als die (leider nur ansatzweise erzählte) Geschichte eines Menschen, der eben nicht tut, was alle tun, weil er eben nicht so denkt. Darüber hinaus unterhält das Buch gerade mit den eingestreuten biographischen Schlenkern hervorragend. Dass Hörhan´s Weltbild und das Funktionieren seines Systems eine Menge Dinge recht, nun, großzügig vorrausetzen und als gegeben hinnehmen (die Arbeit der Vielen schafft die Möglichkeiten der Wenigen), weiß und benennt er selbst. Dass die Position, die er sich dadurch hat erarbeiten können zumindest die Chance birgt, auf einen allfälligen wirklichen Zusammenbruch dieser Dinge zu reagieren, ebenso. Wenn sie denn jemals wirklich zusammenbrechen.
„I´m standing at a sale of the shoes of bankrupt men/I just had to buy a pair/to show that life can live again.“ (Joe Strummer)
Gerald Hörhan
„Investment Punk. Warum ihr schuftet und wir reich werden“
edition a, 19,95.- Euro