»Red Dead Redemption 2« – Rockstars Verantwortung

Wenn ein Kind in den Sandkasten kackt, ist nicht immer der Spielplatzbetreiber schuld.

Wie so oft hat auch dieses Mal alles mit einem Idioten begonnen; mit einem YouTuber, der erkannt hat, dass ihm viele andere Idioten Aufmerksamkeit schenken, wenn er eine virtuelle Suffragette aus Rockstars jüngst erschienenem Wildwest-Epos »Red Dead Redemption 2« auf unterschiedlichste Weisen zu Tode bringt. Das sicherte ihm dann im weiteren Verlauf auch die Aufmerksamkeit von größeren YouTubern, YouTube selbst und schlussendlich auch von Medien, die sich gar nicht in erster Linie mit digital spielenden Idioten auseinandersetzen.

Kontroversen wie diese gehören zu Rockstars Spielen dazu. Mit jedem neuen »GTA« und neuerdings eben auch mit »Red Dead Redemption« wird seitens der Publisher bewusst provoziert. Es wird ein Spielplatz verkauft, der zum Schwachsinn verführt, und dieser Schwachsinn hat oft viel mit massiven Gewaltdarstellungen zu tun. Gleichzeitig stoßen die unzähligen Dialoge und Geschichten der Rockstar-Spiele aber auch viele geistreiche Gedankengänge an. Von Gleichberechtigung in Beziehungen über die Werbewirtschaft bis zum Demokratiebewusstsein tauchen in »Red Dead Redemption 2« an jeder Weggabelung neue Themen auf – immer augenzwinkernd, nie klar Stellung beziehend, versteht sich. Aber das ist auch nicht die Aufgabe einer offenen Spielwelt.

»Red Dead Redemption 2« © Rockstar Games

»Red Dead Redemption 2« erzählt vom Niedergang eines gelebten Bubentraums. Der Wilde Westen wird immer zahmer, der Staat gewinnt an Einfluss und die harten Männer auf ihren Pferden wissen immer weniger, wie sie damit umgehen sollen und ob ihre Ideale der Gesetzlosigkeit nicht doch nur billige Ausreden waren. Diese Gemütslage steckt in all den kleinen, optionalen Konversationen, in der Stimmung im Camp und in den einzelnen Missionen. Und gleichzeitig spielen wir das Spiel, um genau den Bubentraum zu träumen, vom Wilden Westen mit seinen Lagerfeuern und Postkutschenräubern.

Dem Spiel – wie der »GTA«-Reihe – Scheinheiligkeit und Doppelmoral vorzuwerfen, scheint ein bisschen billig. Rockstar hat die Masche jetzt schon zu oft durchgezogen, als dass das unbeabsichtigt wäre. Wer mit Niko Bellic in »GTA IV« halb New York über den Haufen geschossen hat, bekam währenddessen erzählt, dass Gewalt keine Probleme löst. Und wer jetzt mit Arthur Morgan Revolver schwingend in hundert Sonnenuntergänge reitet, denkt dabei über die naive Sehnsucht nach der gesetzlosen Wildnis nach – sofern den Geschichten zugehört wird, versteht sich. Das ist keine Doppelmoral, das ist Konzept. In meinen Augen sogar ein ziemlich gelungenes.

»Red Dead Redemption 2« © Rockstar Games

Aber warum muss es dafür möglich sein, eine Suffragette an ein Krokodil zu verfüttern? Immerhin gibt es ja auch Tabus, die selbst von Rockstar nicht gebrochen werden. Gewalt gegen Kinder gab es bislang beispielsweise weder in »GTA« noch in »Red Dead Redemption«. Es muss überhaupt nicht möglich sein. Aber die Suffragetten sind auch nicht im Spiel, um sie zu quälen, sondern um auf eine politische Entwicklung der Zeit hinzuweisen. Sie werden sogar recht eindeutig positiv und fortschrittlich dargestellt. Der Umstand, dass Menschen mit dem Lasso gefesselt werden können und Krokodile Menschen angreifen, ist Teil der umfangreichen Spieldynamik. Und natürlich findet sich der Idiot, der die Optionen kombiniert.

Kinder hingegen spielen mit wenigen Ausnahmen keine Rolle in der Geschichte. Ihre schlichte Präsenz in den Dörfern wäre zwar dem Realismus zuträglich, würde sonst aber wenig zum Spiel beitragen. Da wirkt die Entscheidung, sie ganz aus dem Geschehen herauszunehmen – wohl auch um geschmacklose Videos zu vermeiden –, nachvollziehbar.

»Red Dead Redemption 2« © Rockstar Games

Die spezielle Qualität der Rockstar-Spiele entfaltet sich beim Zuhören und Beobachten. Virtuelle Sandkästen voller Schießereien und Explosionen gibt es auch ohne Rockstar zur Genüge. Aber »Red Dead Redemption 2« spielt, wie die letzten »GTA«-Ableger, mit den schizophrenen Zügen seines Publikums. Spieldynamisch genießen wir das Wildwest-Idyll, während wir uns an Geschichten erfreuen, die ebendieses dekonstruieren. Wo so viel Platz ist, für spannende Gedanken und Selbstbeobachtungen, ist eben auch Platz für ein paar Idioten und das eine oder andere geschmacklose Video. Aber die Verantwortung dafür, sollen die Idioten bitte ganz alleine tragen.

»Red Dead Redemption 2« ist für PS4 und Xbox One erschienen.

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