Age

Gar nicht sakral: Die kanadischen Missionare The Hidden Cameras predigen mit “gay church folk music“ die Pflicht zur Moral.

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Möchte man “Age“, das nunmehr achte Album der kanadischen Vorzeige-Queerulanten The Hidden Cameras, in einem kurzen Satz beschreiben, bietet Bandleader Joel Gibbs dazu den adäquaten Terminus an – “gay church folk music“. Legen die zwei küssenden Männer am Cover noch eine gar nicht so sakrale Punk- und Nihilismusromantik nahe, hallt die plakative Körperlichkeit und Homoerotik bald nur mehr als statisches Hintergrundrauschen nach.

Mit “Skin & Leather“ öffnet die Indie-Operette ihre Pforten fast gänzlich ohne den von der Band in früheren Werken institutionalisierten Pomp. Es ist ein Stück schwungvoller, schöngeistiger Tweepop, der vom viktorianischen Dandytum eines Oscar Wilde inspiriert in eine in F-Moll orchestrierte Gegenwart rutscht. Die Tonalität von Schwermut und Sehnsucht suhlt sich in allzu blumiger Ästhetik – ein Prinzip, das sich bis zum Ende des Albums noch oft wiederholen wird.

Performances und Aufnahmen in Kunstgalerien, Kirchen und Pornokinos ebneten die dramaturgischen Pfade, die die Hidden Cameras samt Gogotänzer- und Orchesterbegleitung erklommen, um Songs wie “Year Of The Spawn“ oder “Gay Goth Scene“ in ihr kompositorisches Gewand zu hüllen. Natürlich beschäftigt sich das Liedgut von “Age“ mit den Themen Älterwerden und Jugendnostalgie. Natürlich darf endorphindurchtränkter Kitsch dabei nicht fehlen. Doch in den Fugen der Vergangenheitsvergoldung wartet oftmals eine sinistre Gegenwärtigkeit darauf, dem Schöngefärbten das Ekeln zu entlocken. Sexualität, Religion, Diskriminierung und (politischer wie persönlicher) Stillstand sind die lyrischen Rahmungen dieser neonfarbenen Bubblegum-Popsongs.

“Age“ kann, so Gibbs, zwar als Coming-Of-Age Album gelesen werden, doch gehe es ihm dabei weniger um die Suche nach der verlorenen Zeit, als um die Notwendigkeit, mit steigender Lebenserfahrung auch höhere moralische Pflichten zu übernehmen. In diesem Kontext ist es auch kein Zufall, dass das Platteninnencover die Transgender-Silhouette von Wikileaks-Whisteblower Bradley/ Chelsea Manning ziert. Als queere Ikone und Freiheitskämpfer/in inszeniert, steht Manning für eben jenes kategorisch-moralische Imperativ, der eigenen Verantwortung auch dann gerecht zu werden, wenn dafür ein hoher persönlicher Preis zu entrichten ist.

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