McEwans Figuren hatten es nie leicht. Ständig stolpern sie in Ereignisse, die ihr Leben schlagartig umkrempeln – und das selten in Richtung Gemütlichkeit.
Im grandiosen Debüt „Zementgarten“ (1978) verstecken vier Halbwaisen – der Vater ist bereits tot – die Leiche ihrer plötzlich verstorbenen Mutter im Keller, wobei der Kindheitstraum von grenzenloser Freiheit bald in Verwahrlosung und inzestuösen Begierden endet. In „Liebeswahn“ (1998) ist es ein Ballonunfall, dessen letale Folgen einem bis dahin unversehrten Ehe- und Lebensglück ordentlich zusetzen und im Post-9/11-Psychogramm „Saturday“ (2005) bringen die Nachwirkungen eines harmlosen Autounfalls das grundoptimistische Weltbild eines erfolgreichen Neurochirurgen ins Wanken. In McEwans neuem Roman „Am Strand“, angesiedelt im prüden England der frühen 1960er, manifestiert sich die unabsehbare Wende im tragischen Verlauf einer Hochzeitsnacht. Das frisch vermählte Paar Edward und Florence verbringt seine Flitterwochen in einer Hotelsuite am Meer nahe Oxford. Der Appetit ist klein, die Aufregung groß. Denn beide wissen, was an diesem Abend noch auf dem Programm steht: der erste Liebesakt. Doch während der unterschichtige Provinzbursche es kaum erwarten kann, mit erhofften Steherqualitäten sein Selbstbewusstsein zu festigen, empfindet die großbürgerliche Fabrikantentochter aus unbestimmten Gründen – ein Missbrauch durch den Vater wird angedeutet – nichts als Ekel beim Gedanken an Körperflüssigkeiten. Darüber reden geht nicht. Also kommt es, wie es kommen muss. Die Sache im Bett wird zum Debakel – mit traumatischen Folgen für die Beteiligten. Zwar kommt McEwans jüngster Wurf nicht an Glanzstücke wie „Abbitte“ oder das erwähnte „Saturday“ heran. Eine Spur zu aufgelegt scheinen die Gegensätze in den rückblendend erzählten Biografien der Hauptfiguren. Der belehrende Ton, in dem uns regelmäßig erklärt wird, dass vor der sexuellen Revolution ja alles ganz anders war, nervt. In gewohnter Meisterschaft hingegen gelingt dem Autor die präzise Ausleuchtung von Edwards und Florences Innenwelten, in denen immer auch die Vergangenheit nachscheint. „Am Strand“ ist ein empfehlenswertes Stück soziologisch-analytischer Literatur, das exemplarisch zeigt, was passieren kann, wenn gesellschaftliche Konventionen und familiäre Prägungen körperlichen und emotionalen Intimitäten keine Sprache geben.