Die Beschissenheit der Dinge

Saufen, um zu leben!

Dimitri Verhulst rollt in „Die Beschissenheit der Dinge“ seine Familiengeschichte auf. Ergebnis: Eine wunderbare, groteske, skurrile Geschichte um schwere Alkoholiker. Zum Schreien komisch und todtraurig zu gleich.

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Obacht vor allzu überschwänglichen Bewertungen, doch was Autor Dimitri Verhulst mit „Die Beschissenheit der Dinge“ den Lesern vorsetzt, ist nicht nur ein unheimlich plakativer, reißerischer Titel, sondern tatsächlich so etwas wie das Buch der Saison. Und das kommt eigentlich wenig überraschend, sorgte doch der Belgier bereits vor vier Jahren mit einer erfrischend provokanten, schwarz humorigen Sicht auf Asylfragen in „Problemski Hotel“ für einen Überraschungserfolg beim Lesepublikum. Auch in seinem aktuellen Roman wird sprachlich und inhaltlich nicht lang herumgedruckst. Der 35-jährige Autor arbeitet seine Familiengeschichte auf, und die ist – zumindest so der erste oberflächliche Eindruck – von den Vorraussetzungen keine ganz so einfache gewesen. Das sollte man nie vergessen, wenn der Autor anhebt, seine Jugend zu beschreiben. Die ungefähr so aussieht:

Der halbwüchsige Dimmetrieken lebt bei seiner Großmutter. Und zwar zusammen mit seinem Vater und drei Onkeln. Allesamt schwere Alkis, die sich durch den Tag quälen und saufen. Nicht gerade die optimale Umgebung für einen Pubertierenden. „Mein Vater schmeckte nach Bier, er schwitzte es aus, selbst die Achseln rochen danach“, heißt es da, und obwohl zwischen Alkleichen und dazugehörenden Ausdünstungen bei Großmutter wenig Platz ist, so sind die Herzen der Beteiligten umso größer. Prolocharme, Slumchic und Sippensolidarität, die in der Stammkneipe oder beim Besuch der Fürsorgedame bis in den finstersten Winkel hinein gelebt werden. Roy Orbison wird in dieser Welt gottgleich verehrt, eine Welt in der man sich besser nicht mit jemanden aus dieser Horde anlegt. So sehr kann man dem Delirium tremens gar nicht nahe sein, um nicht doch noch Rache zu nehmen oder zu schwören. Selbst wenn es die eigene Mutter ist, die in herrlichen Tiraden wunderschön gehasst, ja literarisch hingerichtet wird.

Leichtfüßig schreibt sich Verhulst seine Vergangenheit von der Seele und bestimmt so auch gleich seinen Standort in der Welt. Natürlich weiß man dabei nicht wo die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit verlaufen – soll so sein bei autobiografischer Materialverwertung. Gewiss ist nur, dass er den Absprung aus einer Welt zwischen Alkohol, Sozialamt und Zwangspfändung geschafft hat und nun davon berichtet. Mit dunkler Erzählverve und einen liebevollen Blick fürs Groteske, das im Sumpf bekanntlich ja besonders schön gedeiht. Manfred Gram

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