SEI VERFLUCHT, SCHEISSKRIEG
Mit erschütternder Präzision beschreibt der junge, russische Autor Arkadi Babtschenko den Tschetschenienkrieg, dessen Gewalt und Irrsinn er als 19-jähriger Soldat am eigenen Leib erlebt hat.
Für mich gibt es keinen Frieden mehr. Für mich ist immer Krieg“, schreibt Arkadi Babtschenko, Jahrgang 1977. Der heute in Moskau lebende Journalist und freie Schriftsteller wurde mit 18 Jahren in die russische Armee eingezogen und als Rekrut 1996 nach Tschetschenien versetzt. Schwer traumatisiert, aber immerhin am Leben, kehrte er aus dem Krieg zurück, um 1999 – als die Russen zum zweiten Mal in die kaukasische Teilrepublik einmarschierten – erneut an der Front zu kämpfen. Was er dort an Brutalität und Korruption, Angst und Irrsinn sehen und erleben musste, davon handeln Babtschenkos großartige Prosa-Miniaturen und Erzählungen, von denen einige unter dem Titel „Die Farbe des Krieges“ nun endlich auch auf Deutsch erschienen sind. Hart, nüchtern, direkt, aber von eindringlicher visueller Kraft, verleihen diese dokumentarischen Texte dem medial zwangsläufig entpersonalisierten, auf das Protokollarische abstrahierten Kriegsgeschehen eine menschliche Seite, die in ihrer Unmenschlichkeit oft an die Grenze des Erträglichen stößt. Da donnern Panzerwagen über den entzwei gesprengten Körper eines noch zuckenden Kameraden hinweg und daneben treiben die Bäume junges Grün. Da beschießen russische Truppen vermummte Gestalten in Grosny – bis sich herausstellt, dass es russische Mütter auf der Suche nach ihren Söhnen sind. Da wird aus Rache für die Kreuzigung gefallener russischer Soldaten ein ganzes tschetschenisches Dorf binnen Stunden „gesäubert“. Das alles zwischen Todesangst und Gleichgültigkeit. Zudem die desolaten Zustände der völlig korrupten russischen Armee und ihrer verrohten Befehlshaber: Mangelnde Wasserversorgung zwingt die Soldaten, aus einem von Leichenteilen verseuchten Fluss zu trinken, ausstehende Essensrationen werden mit gekochtem Hundefleisch ersetzt. In der Not frisst der Teufel Fliegen. Doch die Hölle ist nicht der Krieg. Die Hölle sind die Gewaltexzesse der eigenen Vorgesetzten und älteren Kameraden. Folgenschwere Misshandlungen, Prügeleien bis zur Bewusstlosigkeit oder Folterungen an provisorischen Galgen stehen für die jungen Soldaten an der Tagesordnung. „Sie pfeifen auf alles – auf den Krieg, auf Tschetschenien, auf die Leichenberge an der Startbahn –, sie interessiert nur eins: die kommende Nacht, wenn die Offiziere die Kaserne verlassen und sie wieder mit dem Spaten malträtiert werden.“ Um sich von den Schikanen der „Großväter“ freizukaufen, verscherbeln die Rekruten Munition an die „Tschechos“. Krieg ist eben ein Geschäft, auch ein politisches. „Dieser Krieg ist von Anfang bis Ende gekauft. Dreckschweine. All diese Jelzins, Dudajews (…) und Putins – wer sind sie? Wer ist dieses Gesindel, das auf unserem Blut Karriere macht?“ Babtschenkos gnadenlos präzise Schilderungen erschüttern zutiefst, ohne jemals einen nach Fleisch und Blut gierenden Gemetzel-Sensationalismus zu bedienen. Sie haben die erzählerische Wucht etwa im Range von Hemingways „In einem anderen Land“, ohne die Figuren mit kameradschaftlicher Frontromantik und einer sexy Lazarett-Krankenschwester auszustatten. Und sie leisten mutige Aufklärungsarbeit vergleichbar mit den Reportagen der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja, ohne dabei analytischer Reflexionen zu bedürfen. Was gebe es auch angesichts der zermürbenden Tatsachen noch viel zu sagen? Babtschenko liefert die Antwort selbst: „Nichts, einfach nur: Sei verflucht, Scheißkrieg.“