Dream Seeds

Atmosphärische Insemination – Extra Life pflanzen mal behutsam, mal emphatisch ihren Traumsamen in unsere Ohren. Etwas befremdlich und gruselig – aber auf die gute Art.

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Liest man sich die positiven, oft sogar metaphorischen Beifall klatschenden Kritiken der Vorgänger-Werke von Extra Life, fragt man sich ernsthaft, was man denn nun mit den ganzen scheinbar wirr durcheinander geworfenen Genre-Neologismen und Fantasiebegriffen anfangen soll. Progressive Metal, Psychedelic Folk, No Wave, Postrock, Industrial, Free Jazz, Avant-Garde und Art-Rock – das alles sollen Extra Life sein. „Plague Pop“ nennen es die ganz Gescheiten auch. Das wirklich Schräge an der Sache ist aber, dass jede einzelne Bezeichnung zutrifft.

„No Dreams Tonight“ beginnt mit einer zarten Kinderstimme und geht schließlich in die kontroversen und sehr schwer zugänglichen Vocals von Extra Life-Mastermind Charlie Looker über. Diese wiederum lösen sich nach einiger Zeit in kräftigen Mönchschören und verspielten Panflöten auf. Irgendwann fragt man sich, was das denn soll. Dann das zweite Stück. „Righteous Seed“ erinnert musikalisch stark an Tool und ist somit vermutlich noch die „gewöhnlichste“ Komposition auf „Dream Seeds“. Der nachfolgende dritte Streich „Discipline For Edwin“ fetzt wieder ganz gewaltig, ist verwirrend dramatisch und laut, während bei „Little One“ zärtliche Pianoanschläge und suizidale Lyrics schließlich auf leidende Violinen treffen. Man wartet auf den großen Knall, doch außer dem schmerzlichen Ausruf „I can’t touch you“ am Beginn bleibt der Track leise, minimalistisch und vor allem todtraurig. Nach dem Folk-Lied „First Song“, welches trotz seiner euphorischen und eingängigen Melodie tatsächlich das sonderbarste Stück des Albums darstellt und dem 14-Minuten-Epos „Blinded Beast“ bekommt man noch einmal die volle verstörende, diesmal auch wirklich furchteinflößende Breitseite mit dem überlangen Finale „Ten Year Teardrop“. Puh. Es hört sich irgendwie, wie sich ein Horrorfilm sieht. Verzerrte, undefinierbare Geräuschkulissen begleiten die sanfte Stimme von Looker (der übrigens Volksschullehrer ist). Plötzlich verdüstert sich alles, es wird unzählige Male „I Love You!“ und „We Buried You!“ geschrien – schiefe Funksignale unterlegen den schrillen Wahnsinn. Dann – Stille. Es wird leise etwas erzählt. Dann – Priestergesang. Nach 12:27 Minuten kann endlich erleichtert aufgeatmet werden.

Ein kurzes Erschaudern, Kopfschütteln, Nachdenken – dann Repeat. Was auch immer das war, es war gut. Extra Life to Death oder so.

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