Ex voto

Stockholm-Syndrom im mittleren Osten: Yorck Kronenbergs zweiter Roman »Ex voto« entführt in einen orientalischen Fiebertraum mit zweifelhaften Erzählbrüchen.

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Der deutschstämmige NGO-Arzt Robert Sieburg wird auf dem Weg zu einem humanitären Hilfseinsatz von einem bewaffneten Nomaden-Trupp gefangen genommen und in ein abgeschiedenes Bergdorf verschleppt. Die Gruppe fertigt Video- und Tonbandaufnahmen von Robert an und drängt ihn dazu, alles im Dorf erlebte in einem schriftlichen Bericht festzuhalten. Das einzige, was den Protagonisten noch zur Außenwelt verbindet, sind kurze, abgehakte Telefongespräche mit seiner Frau in Deutschland, die von den Entführern stets nach wenigen Wortfetzen unterbrochen werden. Obwohl sich Robert bewusst ist, Gefangener eines Clans zu sein, der ihn jederzeit umbringen könnte, beginnt er Sympathien für die Nomaden und deren nicht weiter spezifizierte Anliegen zu entwickeln. Nachdem er durch eine Schusswunde lebensgefährlich verletzt wird, gleitet die Erzählung in eine fieberhafte Phantasmagorie über. Die Trennlinien zwischen Zeit und Raum verflüchtigen sich und verschmelzen mit Kindheitserinnerungen, in denen der Erzähler den Tod seiner Eltern aufarbeitet. Isoliert von seinem früheren Leben, ist die einzige Kommunikationsbrücke zwischen Robert und der fremden, feindseligen Stammesgesellschaft ein Araber namens Harry, der ruhig und akzentuiert Deutsch spricht. Akribisch archiviert er Roberts Notizen, während dieser sich in Harrys Tochter Samira verliebt. Das umliegende Gebirgsmassiv, so erklärt ihm der Übersetzer, sei von einer Gottheit beseelt. Roberts Aufzeichnungen würden den Berg durch ihn sprechen zu lassen und dem Clan dadurch die Wahrheit über ihn zeigen. Welche Wahrheit der militärisch organisierte Nomadenstamm, der sich irgendwo zwischen global operierendem Terrornetzwerk und mystischer Religionsgemeinschaft bewegt, letztendlich sucht, lässt der Autor Kronenberg leider im Dunkeln. Der Erzählung hätte allgemein mehr Detail für die tatsächlichen Handlungen rund um die Entführung gut getan: Zum einen konnte die Zuneigung, die der Erzähler im Laufe des Textes für seine Geiselnehmer entwickelt, von Kronenberg nicht nachvollziehbar vermittelt werden. Zum anderen lässt eine dramaturgische Wendung gegen Ende des Romans »Ex Voto« zu jäh und zu unbefriedigend ausklingen, um den Text uneingeschränkt empfehlen zu können.

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