Panorama mit zigfach Requisiten
Das pralle Leben, vollführt in der Glaskugel, in der durch den Schneesturm die Sonne blinzelt. Joanna Newsom erzählt in einem Dreifach-Album die Welt. Zuviel kann das nie sein.
So liegt sie nun also da, in diesem absurden, in diesem herrlichen Artwork, inmitten von buntem Schnickschnack, Federn, Tierstatuetten und Lampenschirmen. Dass Joanna Newsom nach den folkloristisch verhuschten Kritzeleien ihres Debüts und der seltsam aus der Zeit gefallenen Gemäldemalerei des zweiten Albums jetzt mit „Have One On Me“ in einem echten Foto mit echt angreifbaren Gegenständen in einer Zeit angekommen ist, die immerhin ansatzweise die Gegenwart sein könnte, markiert nicht den vermeintlichen Bruch, für den man ihn halten könnte, im vielfach verspiegelten Schaffen der größten Künstlerin der Gegenwart, sondern ist nur weiterer Ausdruck des ständigen Weiterkommens, eine andere Fläche auf dem 500-seitigen Prisma. Die Elfe aus Mittelerde, das war Joanna Newsom nie, sondern eine Frau, die an einem ungewöhnlichen Instrument und mit nie gehörter Stimme aus der Zusammenführung von Jazz, Folk der Appalachen, Impressionismus, Pop und, wenn man so will, Weltmusik vollkommen „neue“ Wunderklänge zu destillieren im Stande war, dabei aber auch – und das ist nichts Besonderes, wird nur immer wieder vergessen – da und dort mit einer Punkband gejamt hat und gerne HipHop hört.
Das Dreifach-Album „Have One On Me“ ist nach der Meeresbiologie und Fabelkunde der früheren Alben die Platte, die ganz oft „Love“ sagt und auf der die Menschen sich berühren und den Kopf auf die Schulter der anderen legen. In musikalischer Hinsicht ist das alles ganz großartig und textlich die erhellendste Literatur. Nur selten kann man auf „Have One On Me“ die Minimal-Kombination aus Harfe plus Stimme erleben, die meisten der 18 sich fast immer jenseits der 6-Minuten-Marke abspielenden Stücke sind mit Requisiten ausstaffiert, tausend Geigen und Trompeten, Piano und Drums, dennoch bleibt der Gesamtklang fragil. Bei Joanna Newsom fügen sich große handwerkliche Meisterschaft und Naivität, Artistik und Authentizität, das Wissen um die Gemachtheit von Pop und das komplette Ernstmeinen zu einem vielstimmigen Panorama. Joanna Newsom ist Autorinnensubjekt und Täterin, Opfer, Architektin und Ahnungslose. „Have One On Me“ ist ein konzises Verwirrspiel der Identitäten und die Verwischung der Kontexte, ist eine Erzählung und ein Pop-Album. „Have One On Me“ ist alles Mögliche und wir sind viele.