„Liebe(n)“ entpuppt sich als Allegorie vor dem Hintergrund ganz anderer Wesen und Welten.
Parameswarans Erstling führt in Universen der Menschlichkeit. Jede Story trägt ihre eigene Handschrift, vermittelt eine eigene, neue Welt; erzählt aus den Figuren heraus – eine uns oft so fremde und doch durch deren Alltag geprägte Sicht auf außergewöhnliche Ereignisse. Der Autor paart die romantisch-imaginäre Macht gelebter Geschichten wie die Rafik Schamis („Erzähler der Nacht“) und den Surrealismus eines Yann Martels („Schiffbruch mit Tiger“) zu unglaublichen, doch möglichst realistischen Erzählungen. Der Leser entdeckt seine eigene Fantasie neu in ihrer stilistischen Mimesis und dramaturgischen Anziehungskraft. Anders als der Titel vermuten lässt, ist es nicht die Liebe an sich, die wir hier neu erfahren und ergründen müssen, sondern die gesamte Lebenswelt der Figuren. Liebe ist hier, was irgendwie vertraut bleibt, ein Kontinuum des Lebens; herzlich, euphorisch, traurig und auch tragisch.
So auch in „der berüchtigte Bengale Ming“. Ein gutmütiger Zoo-Tiger verliebt sich heiß in seinen Pfleger. Ein Annäherungsversuch schlägt in Tod, Chaos und die Flucht der Katze um, die letztlich doch ihre blutrünstige Natur entdeckt. Mag es dem Leser eingangs noch schwer fallen, vielleicht etwas zu naiv scheinen, sich in den Kopf eines Tigers hinein zu versetzen; so kann es wenig später zum ernsthaften Abenteuer werden, sich anhand der „Darstellungen“ eines Elefanten in seiner Übersetzung von „Englafant“ auf eine Reise durch den Dschungel zu begeben. So fremd und anrührend aus diesem Band die Tiere zu uns zu sprechen beginnen, sind auch die menschlichen Protagonisten wahrliche Aliens dieses Planeten; die sich uns aus einer so eigenartigen Gedankenwelt mitteilen und den Leser sanft-rüttelnd daran erinnern, wie fremd die Welt aus anderen Augen aussehen kann.
„Ich bin Henker“, die mysteriöse Titelstory des Buches, paralysiert den Leser regelrecht in ihrer mimetischen Kunstfertigkeit. „Vor unserem Hochzeittag Margaret und ich haben nur im Computer geredet, wo wir entzückende Austauschungen hatten“, so der frisch verheiratete Protagonist, Henker von Beruf, er und seine neulich erst seines Berufes gewahr gewordene, traumatisierte Frau fern ihres Heimatlandes. „Leute staunen immer, wie ich behalte mein fröhliches Verhalten und positive Einstellung, trotz der schrecklichen, aufwühligen Pflichten von meiner Arbeit.“ In gebrochener Sprache erfährt der Leser von dem Mann gerade soviel, als wäre er mit ihm gegangen, zur Arbeit, nach Hause… und hätte seinen Gedanken und Selbstgesprächen gelauscht. Kann einer Henker sein und ein guter Mensch? Belügt er sich selbst oder uns? Moralische Instanzen gibt es in diesem Buch nicht, allein die Erfahrung.
Der in Indien geborene und in den USA aufgewachsene Rajesh Parameswaran schöpft aus seinem Leben. Meist sind es indische Charaktere, die in die USA ausgewandert, zwischen alten „Dämonen“ ihres Glaubens und Misstrauen oder euphorischen Hoffnungen gegenüber der „neuen Welt“ stehen; die scheitern und wieder aufbrechen; deren psychische Realität und die Welt da draußen nicht synchronisieren. Parameswaran schafft es, aus dem Innengrund dieser nie selbst ernannten Individualisten zu schreiben – was selten ins Klischee abrutscht, den Leser meist aber in distanziertes Staunen oder rührende Melancholie versetzt.