Icke Wieder

Minimal revisited: Der Club wird ins Wohnzimmer verlegt, das Tanzbein mit dem Kopfkino vertauscht. Ein überraschend guter Rückzug.

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Mit dem kommerziell äußerst erfolgreichen Film- und Soundtrackprojekt “Berlin Calling“ vollzog Paul Kalkbrenner die Verwandlung vom DJ zum Popstar. Als Aushängeschild einer hauptstädtischen Elektronik-Szene, die sich zunehmend in den musikalischen Mainstream einordnete, heimste er dabei nicht nur positive Kritik ein. Während Kalkbrenner in ausverkauften Hallen spielte, betrachtete die elektronische Avantgarde den Soundtüftler ob seines Erfolges als Verräter der eigenen Werte, die sich vom künstlerischen Ausdruck hin zum kommerziellen Ausverkauf gewandelt zu haben schienen. Dieser Tage erscheint mit “Icke Wieder“ das lange erwartete Nachfolgealbum zum Opus Magnum – und es scheint fast so, als sei der in Friedrichshain sozialisierte Künstler in der Tat an einer entscheidenden Weggabelung seiner Karriere angelangt: Führt die Reise zurück in den musikalischen Underground oder weiter in den Massen-Konsens?

Der 34-jährige Wahlberliner hat sich für den Rückzug entschieden – und geht darin voll und ganz auf. Liebhaber des Pop- und Partyaffinen Kalkbrenner-Outputs seien daher vorgewarnt: Wer sich auf “Icke Wieder“ hymnisch-einschmeichelnde Tracks der Bauart “Sky And Sand“ erwartet, wird von der Platte maßlos enttäuscht werden. Es ist ein reines Instrumentalalbum, mit viel Melancholie und wenig Euphorie und ohne einer auch nur potentiellen Hit-Single. Fans erster Stunde dürften allerdings aufatmen: Wer Angst hatte, die akzentuierten Minimal-Skulpturen des inzwischen nicht mehr ganz so jungen Mannes würden nach dem Erfolg von “Berlin Calling“ in radiotaugliche Gefälligkeitsmusik überschwappen, wird mit “Icke Wieder“ eines Besseren belehrt. Die für Kalkbrenner typischen, hypnotisch-pulsierenden Klangwellen breiten sich über zehn introvertierte, zwischen den Polen Morgendämmerung und Nacht wandernden, urbane Klangkompositionen aus, die den Club ins Wohnzimmer verlegen und dabei eher das Kopfkino als das Tanzbein ankurbeln. Kalkbrenner wird mit “Icke Wieder“ vermutlich keine neuen Fans rekrutieren – dafür aber Alte wieder für sich gewinnen.

Das Album ist eine Rückbesinnung auf Soundtraditionen, die kontextuell am ehesten mit dem Frühwerk des Künstlers vergleichbar sind: Songs wie “Böxig Leise“, “Gutes Nitzwerk“ oder “Kleines Bubu“ schließen an Zeiten an, in denen Kalkbrenner noch den subversiven Flair des Underground-Clubs der durchchoreographierten Ästhetik der Großraumdisko vorzog. Der Sound ist verankert in einer beinahe schon klassisch anmutenden Klangstruktur, deren Mittelpunkt sich irgendwo zwischen Techno, Ambient, House und eloquenten Minimal-Soundscapes bewegt. Ohne kommerziellen Druck oder stilistischem Korsett bewegt sich Kalkbrenners neuer Output in einer Rhythmik, die verspielt, offen und wie aus der Hand gezaubert zu sein scheint. “Icke Wieder“ klingt wie ein privates, musikalisches Skizzenbuch, das fernab einer erzwungenen Konsens-Kultur entstand. Es enthält in Beats übersetzte Entwürfe, Träume und Beiläufigkeiten eines Künstlers, der niemanden mehr zu verführen braucht. Es ist überraschend, wie gut es manchmal tut, einen Schritt voraus und zwei Schritte zurück zu gehen.

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