Wahlloses Unglück
Peter Jackson spielt in seinem neuen Film eine Handvoll Varianten durch, Alice Sebolds Familienroman „The Lovely Bones“ zu verfilmen. Die Punktesieger heißen Airbrush-Kitsch und Zeitlupen-Esoterik.
„Zu viele Möglichkeiten wiederum können sich anfühlen wie alleingelassen werden.“ Was Schorsch Kamerun auf dem jüngsten Goldene Zitronen-Album verkündet, führt Peter Jackson in seiner Verfilmung von Sebolds spirituellem Erfolgsroman vor. Die Frage, die seine Fassung von „The Lovely Bones“ (zu deutsch: „In meinem Himmel“) umtreibt: Wie erzählt man ein verwickeltes Charakterdrama, wenn dabei nach Belieben alle personellen, logistischen und filmtechnischen Mittel des Spektakelkinos ausgeschöpft werden dürfen? Wie sich raues Psychogramm und computeranimierte Wunderwelten ineinander erweitern könnten, hat Jackson selbst famos in „Heavenly Creatures“ (1994) demonstriert, und in Sebolds Buch wäre eine ähnliche Verklammerung von Fantastik und Figurenpsychologie bereits angelegt: Erzählerin ist die 14-jährige Susie Salmon, die nach ihrer Ermordung aus einem Zwischen-Jenseits ihre trauernde, zerbröselnde Mittelstandsfamilie beobachtet und versucht, den eigenen Mörder zu überführen. Aber anstatt sich für eine Erzählhaltung oder wenigstens eine Figurengruppe aus dem 368-Seiter zu entscheiden, springt Jacksons Film kurzatmig zwischen den Welten, Motivketten und Genreangeboten hin und her. Einzelne Momente werden salbungsvoll überdehnt, eingeführte Handlungsstränge abgewürgt. Während sich das Jenseits als Computeranimations-Testprogramm in abgestandener Airbrush-Poster-Ästhetik herausstellt, lösen sich die Salmons (um Gravitas bemüht: Wahlberg und Weisz) zusehends in funktionale Drehbuchschemen auf. Auf der anderen Straßenseite wird Stanley Tuccis biederer, gequälter Kindermörder-Nachbar in erlesen expressionistische Schattenbilder eingepasst. Was, Susan Sarandon als resolute Großmutter haben wir auch noch engagiert? Dann schnell eine drollige Montagesequenz, in der sie den Salmon-Haushalt auf Vordermann bringt! Zwischen den vielen Fehlgriffen finden sich gelegentlich exzellente Passagen – etwa ein kokett ausgereizter Suspense-Showdown, dem jedes Dielenknarren zum Großereignis wird, und die erste halbe Stunde Exposition, die in ihrer erzählerischen Ökonomie und Dynamik das breitspurige, aber berührende Melo erahnen lässt, das „In meinem Himmel“ hätte werden können. Mit seinen unvermittelten Qualitätssprüngen erinnert der bestehende Film an ein Himmel-oder-Hölle-Faltspiel aus der Volksschulzeit: einmal Kinohimmel, einmal Kitschhölle, wahllos.