La Lechuza

Sterben lernen mit Kunstmusik: Ein Konzeptalbum über den Tod, das trotz Affinität zu Thanatos-Meditationen voll lebensbejahender Schönheit ist.

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Was passiert, wenn Bruce Cawdron (Godspeed You! Black Emperor) und Beckie Foon (Thee Silver Mt. Zion) zusammen Musik machen? Wäre die stilistische Bezeichnung “ernste Kunstmusik“ nicht so sehr dem klassischen Musikverständnis zugehörig, es könnte die naheliegenste Beschreibung für deren Bandprojekt Esmerine sein.

Virtuos begleitet von Harfinistin Sarah Page und dem Percussionisten Andrew Barr kreieren die kanadischen Experimentalmusiker auf “La Lechuza“ einen hochmusikalischen und komplexen Todesklang-Zyklus, der trotz seiner Affinität zu dunklen Thanatos-Mediationen erstaunlich positive Energien erzeugt. Das über weite Strecken rein instrumental mit Violine, Horn, Harfe und Cello eingespielte Album ist der 2010 im Alter von 37 Jahren verstorbenen amerikanisch-mexikanischen Sängern Lhasa de Sela gewidmet. Die neun Songs auf “La Lechuza“ – ein indianischer Begriff für die Eule, welche als Wächterin der Seele verstanden wird – führen die Beschäftigung mit den Themen Sterblichkeit und Kunst intensiv und emotional in eine höhere Ebene über.

Auch wenn der Grundton des Albums ein dunkler ist – die musikalischen Mediationen um Leben und Tod lassen trotz aller Tränen immer wieder Momente ungebändigter Lebensfreude und astraler Klarheit aufkommen. In dem tieftraurigen “Last Waltz“ gibt es beispielsweise eine Stelle, in der die fragile Cello-Melodie des Songs mit dem eisigen, an Nico erinnernden Gesang von Beckie Foon zu verschmelzen beginnt. Das düstere Klangbild geht dabei in eine kristalline, erhabene Schönheit über, die lebensbejahender gar nicht sein könnte. Das Instrumental “Trampolin“ führt mit einem elegischen Harfenspiel zu einer Art Licht am Ende des Tunnels, oder beschwört zumindest lange vergessene Kindheitserinnerungen an ein solches wieder auf. Die von Patrick Watson mit engelsgleicher Stimme intonierte Mantra-Ballade “Snow Days For Lhasa“ bildet den Höhepunkt der Totengesänge. Selbst als Atheist kann man der Tonalität dieses Liedes nichts von seiner spirituellen, reinen Religiosität absprechen.

Gänsehaut kommt auch in “Fish On Land“, dem letzten Song des Albums, auf. Es ist das einzige Lied auf “La Lechuza“, auf dem Lhasa de Sela selbst zu hören ist. Kurz vor ihrem Tod lieh sie dem Song noch ihre trotz schwerer Erkrankung durch und durch ausdrucksstarke Stimme: “I had a dream last night / A fish on land / He had a human face / I dropped him in and he couldn‘t breath again.“ Tot werden wir alle einmal sein. Bis dahin weist uns “La Lechuza“ allerdings noch auf die flüchtige, zerbrechliche Schönheit des Lebens hin.

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