Wir haben ja alle unseren Huscher. Aber was der Luxemburger Kreativberserker Guy Helminger da seinem Personal andichtet – halleluja. Da hätten wir einmal den cholerischen Taxifahrer vornamens(!) Feltzer, der gerade 12.000 Euro auf das falsche Pferd gesetzt hat und lieber fünf Stoffgiraffen als einen Menschen durch Köln kutschiert. Seine Lebensgefährtin Louise ist da eher eine […]
Wir haben ja alle unseren Huscher. Aber was der Luxemburger Kreativberserker Guy Helminger da seinem Personal andichtet – halleluja. Da hätten wir einmal den cholerischen Taxifahrer vornamens(!) Feltzer, der gerade 12.000 Euro auf das falsche Pferd gesetzt hat und lieber fünf Stoffgiraffen als einen Menschen durch Köln kutschiert. Seine Lebensgefährtin Louise ist da eher eine Zeitlupen-Natur, die sich durch ihre Bibliothek aus Reiseführern liest und von einem Neuseeland-Urlaub träumt. Mehr oder weniger geschickt manövriert sich das junge Paar durch die Skurrilitäten des Alltags. Erst als die beiden ein Kind erwarten, gewinnt die Beziehung, überhaupt das Leben wieder an Schwung, bis es irgendwann kein Zurück mehr gibt: Ein pränatal diagnostizierter Herzfehler droht den gewohnten Gang der Dinge für immer zum Erliegen zu bringen. „Morgen war schon“ funktioniert nach dem Muster der Puzzle-Prosa. Vorerst disparat wirkende Episoden greifen schließlich ineinander. Erzählstränge fransen aus, um anderwertig wieder verknüpft zu werden. Biografische Details der Figuren korrespondieren miteinander und ändern den Blickwinkel. Randnotizen werden plötzlich bedeutungsschwer. Mit allerlei einfallsreich gezeichneten Nebenfiguren erschafft Helminger ein mehrere Generationen umfassendes menschliches Panoptikum – einen wilden Haufen von Typen, der mit wahnwitzigen bis beängstigenden Tics ausgestattet ist. Claudia beispielsweise, die seit Jahren Lebensmittel sammelt, deren Ablaufdatum mit ihrem Geburtstag übereinstimmt. Oder ihr Freund Uwe, ein kettenrauchender Möchtegern-Künstler, der sich eine tragische Kindheit in Sevilla zusammenphantasiert. Oder Feltzers Vater, der beinahe krankhafte Angst vor Erkältungen hat. Für Helminger´sche Verhältnisse trotzdem noch harmlose Zeitgenossen, geben sich doch in seinen früheren Erzählungen Tierquäler, Stalker, Frauenmörder und andere Exponate des Gruselkabinetts die Klinke in die Hand. Treu geblieben ist Helminger dankenswerterweise dem grandios eingesetzten Stilmittel der wunderschönen Lichtmetapher, die den ganzen Roman durchziehen, einen Gutteil seiner visuellen Kraft ausmachen und ihm an vielen Stellen eine lyrische Note geben. Darüber hinaus erreicht das Buch vor allem an seinen traurigen Passagen eine stille Tiefe, in der Augenblicke menschlicher Erschütterung in geradezu seismografischer Genauigkeit aufgezeichnet werden. Der langen Rede kurzer Sinn: „Morgen war schon“ ist pointiert, vielschichtig, überzeugend und in sprachlicher Hinsicht wahrscheinlich eine der gelungensten Neuerscheinungen der Saison. Absolute Empfehlung!