„Nochmal zwei Herrengedeck, Bitte“

HipHop Don’t Stop

Audio88 & Yassin schleudern schlechte Laune gegen Deutschland. Mit sprachlichen Ereignissen wie „Nochmal zwei Herrengedeck, bitte“ kann sich die deutsche Gesellschaft und HipHop-Szene aber nur glücklich schätzen.

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„Wer schweigt, gibt Recht“, steht auf dem linken Arm von Audio88 tätowiert. Der Geltungsdrang des Berliner Rappers leitet sich davon ab, dass ihm die Gesellschaft, in der er lebt, schlechte Laune bereitet. Mithilfe von a-rhythmischen Reimschemata, abstrakter Metaphern und Noise-Electronica schleudert er diese seit 2004 konstant wieder zurück in das Gesicht der Bundesrepublik. Dass sein Sprechgesang jenseits der Schublade „Abstract Rap“ mittlerweile auch vermehrt in einschlägigen deutschen HipHop- Fachmedien wie Juice, Rap.de oder Mixery Raw Deluxe Gehör findet, liegt vor allem an seinem nunmehrigen Kollaborateur Yassin.

Mit „Zwei Herrengedeck, bitte“ haben die beiden 2008 ihr gemeinsames Debüt veröffentlicht. 2010 verdeutlicht sich das damalige Aufbrausen als Auftakt einer Trilogie. „Nochmal zwei Herrengedeck, bitte“ heißt das zweite Kapitel und führt fort, was so vielversprechend begonnen wurde. Der in formal gängigen Maßen rappende Yassin und der bewusst auf gängige Formalien verzichtende Audio88 zelebrieren erneut todernste Bierseligkeit und liefern den wortwörtlichen Abriss einer kapitalistischen Krisenrealität. Dabei dekonstruieren sie auch ihr vermeintlich persönliches Umfeld. In der Replik („Lösch ein Feuer“) auf den eigenen Song „Leg ein Feuer“ etwa: „Die ganz eigene Einstellungen zu TAZ-Schlagzeilen leitet sich ab aus den von Indie-Media selektierten Meinungen anderer Gleichgesinnter – unbefleckte Kinder.“ (Yassin).

Hämmernde Industrial-Beats und vertrackte Soundfetzen dominieren die Synthesizer-Flächen dieser ersten Albumhälfte. Besonders augenscheinlich wird ihre Gesellschaftskritik mit den beiden Tracks „Sandy und Justin“ bzw. „Sandy und Justin (Diswosieherkomm)“. Sie rechnen mit etablierten Projektionsfiguren wie Samy Deluxe und deren Deutschtümelei (a la „Diss is wo ich herkomm“) ab und zeichnen ein weitaus differenzierteres Bild jugendlicher BRD-Biografien zwischen Wohlstandsverwahrlosung und „No-go-Areas“. Die zahlreichen Gast-MCs (Retrogott, Morlockk Dilemma, Hiob u.a.), die vor allem in der weniger dringlich bis jazzig-melancholisch instrumentierten zweiten Hälfte auftreten, eröffnen ähnliche Perspektiven. Sie alle bilden eine Art Nische innerhalb der deutschsprachigen HipHop-Szene. Ihr gemeinsamer Nenner: Rap wird zwar bewusst abstrahiert, gleichzeitig aber auch möglichst anti-elitär inszeniert. „Nochmal zwei Herrengedeck, bitte“ ist ein sehr herausforderndes Beispiel dieser Kunst und gleichzeitig eines der besten neuzeitlichen Rap-Alben.

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