Paracosm

Fantasiereise – Der Titel ist Programm. Ernest Greene entführt mit seinem zweiten Longplayer in farbenprächtige Hirngespinste, die kein Kind der Welt sich schöner hätte ausmalen können.

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Angeblich nennt man das als Erwachsener dann Chillwave. Wie hinter dem albernen Namen, den man sich früher auch schon nur leise zuflüsterte, etwas so erstaunlich Anmutiges wie Washed Out stecken kann, ist vollkommen widersprüchlich, semantisch betrachtet. Der Albumtitel „Paracosm“ hingegen scheint da um einiges passender. Er beschreibt eine fantastische Parallelwelt, detailreich wie eine bunte Landkarte, mit Tieren, Menschen und allem dazwischen – halt allem, was eine kindliche Vorstellungskraft so herzugeben vermag. So wie das Wunderland von Alice oder Tolkiens Mittelerde. Hach. Man dürfte ruhig ein ganzes Paracosm-Genre erfinden.

Aber Schluss mit Wortklauberei. Washed Out lebt von Emotionen, von den ganz großen. Von entfesselnder Sehnsucht, grenzenloser Neugier, bahnbrechender Euphorie und natürlich – auch wenn das wieder ein Unwort ist – einer gewissen Nostalgie, die einen zu zerreißen imstande ist. Dass all diese Gefühle, zumindest oberflächlich gesehen, in erster Linie von penibel kalkulierten Laptop-Sounds und effektvoll verzerrten Vocals transportiert werden, tut eigentlich nichts zur Sache. Denn ob die Musik nun synthetisch ist oder nicht, die sich anstauende Spannung beim zaghaften Opener „Entrance“, die sich im nachfolgenden „It All Feels Right“ sofort in ein innerliches Blumenpflücken auflöst, ist echt. Es fühlt sich richtig an und man findet sich verliebt lächelnd im eigenen üppigen Paracosm wieder. Hier will man bleiben. Am liebsten für immer. Bitte.

„Don’t Give Up“ klingt nach freiem Himmel mit Fackeln und Lampions und schönen, tanzenden Menschen. „Paracosm“ zeichnet solche übertriebenen, fast unerträglichen Fluchtpunkte weich, brilliert im Spiel mit Licht und Schatten. Nach der Freiluftparty kommt die unerträglich schmerzliche Melancholie am Morgen („Weightless“), Tränen, neuer Mut („All I Know“) und vielleicht auch ein bisschen sterben („All Over Now“).

Nur, wann hört das eigentlich auf? Vertonte Traumwelten und Krisen-Eskapismus waren doch etwa so langlebig wie New Rave oder Prog Rock. Washed Out bleibt weiterhin in der Erinnerungsschleife gefangen. Aber, und da liegt ein entscheidender Unterschied, wo früher flüssige Oberflächen, endlose Synthschichten und gefällige Harmonien das ganze Arsenal kindlicher Erinnerungen abgerufen hat, verfeinert das Album nun seine Songs, probiert sich an Tempi aus, an brüchigen Strukturen, an Mellotron-Himmeln und Steel Guitar-Soli. Wenn der ermüdete Gesang nicht wäre, könnten einige Songs sogar von den Flaming Lips sein.

Oder auch ganz, wenn sich die heimtückische Realität wieder langsam anschleicht und einen einholt. Wenn das Album nämlich schließlich doch endet. Großartig.Washed Out by The Gap on Grooveshark

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