Politik der Apokalypse – Wie Religion die Welt in die Krise stürzt

Eine Utopie ist nur so gut, wie die Menschen, die sie auszuführen haben. Weltentwürfe, die davon abhängen, dass fast alle mitspielen und sich damit selbst ändern müssen, mutieren zu Erlösungsmythen, die dem Rest der Welt oft mit Gewalt übergestülpt werden wollen. Religionen sind daran mehr als nur beteiligt.

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Ist der Westen legitimiert, in einen souveränen Staat wie den Irak einzumarschieren, um seinen etatistischen Erlösungsmythos einer liberalen Demokratie mit Gewalt zu exportieren? Punkto Titel und v. a. Untertitel hat sich die Übersetzung etwas zu weit vorgewagt: „Black Mass. Apocalyptic Religion and the Death of Utopia“ heißt es im Original und insbesondere der letzte Teil bringt zum Ausdruck, worum es Gray tatsächlich geht, nämlich nicht vorzuführen, dass Religion die Politik zur Apokalypse treibt, geschweige denn Religionskritik an sich zu üben, sondern zu zeigen, dass politische Utopien an ihr Ende gelangt sind. Als Ursprung der modernen, politischen Utopien, vom Historischen Materialismus zum Neoliberalismus und neokonservativen Ideologien benennt er den neutestamentarischen, christlichen Endzeitmythos (laut Gray ein „fragwürdiges Geschenk“ des Christentums), der sich nach der Aufklärung in säkularer Tarnung wiederholt und in den Politreligionen des 20. Jahrhunderts (Nationalsozialismus, Stalinismus, Maoismus) gipfelt. Mit dem Irakkrieg (Bush: „Gott befahl mir …“) und dem Versuch eines v. a. amerikanischen Imperialismus, liberale Demokratie mit Gewalt über die Welt zu verbreiten, sieht er den Tod der Utopie gekommen. Grays Beweisführung ist in sich schlüssig, allerdings so umfassend, dass er praktisch alles und jeden attackiert und moderne Philosophie entweder als grobschlächtig, naiv, mindestens aber als utopistisch verblendet brandmarkt. Auch säkulare Staatsführung und humanistisches Denken bezögen sich letztendlich nur darauf, was sie ablehnen oder hingen Erlösungsgedanken in anderer Form an. Sein Gegenentwurf eines pragmatischen, unteleologischen Realismus kommt über eine kurze Skizze in seiner sonst klaren Analyse nicht hinaus.

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