Regisseur Lee Daniels und Produzentin Oprah Winfrey erobern Publikumsherzen mit einem ungewöhnlich direktem Sozialdrama. Die Schwächen von „Precious“ liegen bei der Inszenierung, die überragenden Stärken bei seinen Schauspielerinnen.
Claireece „Precious“ Jones (Gabourey Sidibe) führt ein richtig beschissenes Leben. Die übergewichtige 16-Jährige wird auf der Straße und in der Schule verachtet. Sie ist beinahe Analphabetin, und zum zweiten Mal schwanger. Ihr eigener Vater, der sie mehrfach vergewaltigt hat, ist für die Schwangerschaften verantwortlich. Von ihm wurde sie außerdem mit HIV infiziert. Ihre arbeitslose Mutter (Mo’Nique) verbringt die meiste Zeit vor dem Fernseher. Oder damit, ihre Tochter zu erniedrigen. Zu allem Überfluss soll Claireece fortan eine Sonderschule besuchen. Dort lernt sie eine engagierte Lehrerin (Paula Patton) kennen, die ihr Selbstwert verleiht und weiterhilft. Von manchen US-Kritikern wurde „Precious“ leichtfertig als /poverty porn/ abgestempelt. Regisseur Lee Daniels muss sich aber andere Kritik gefallen lassen. Einerseits zeichnet seine Romanverfilmung (nach „Push“ von Sapphire) ein sehr krasses, glaubhaftes und dadurch auch erfrischendes Blockbuster-Bild afroamerikanischer Lebenswelten. Andererseits verrennt er sich beim Kontrastieren der Schauplätze auch häufig in Klischees. Beispielsweise sind die Szenen des Familienlebens derart düster und kompromisslos ausgeleuchtet, dass jene der Hoffnung spendenden Lehrerin fast wie weich gezeichnete Marienerscheinungen wirken. Problematisch ist auch die wiederkehrende Realitätsflucht der Protagonistin, wo bunt inszeniert Erfolg, Glamour und Märchenprinzen herbeigesehnt werden. Die Gedankenreise im letzten Drittel, wo Precious mit ihrem Kind am Arm inmitten eines erleuchteten Gospelchors steht und lauthals singt, beschwört ein besonders christliches Heilsversprechen. Zum Finale gibt es dann zwar auch ein Happy End, aber es ist nicht gänzlich vergoldet. Vor der abgeklärten Hauptfigur liegt eine ungewisse Zukunft – nicht mehr, nicht weniger. Auf dem Weg dorthin hat sich auch Hauptdarstellerin Gabourey Sidibe mit ihrem kompromisslosen Spiel eine gewisse Unabhängigkeit erkämpft. Außerdem muss das Publikum an dieser Stelle ohnedies erst die aufwühlenden Schluss-Szenen verdauen. Das kann Lee Daniels zugute gehalten werden. Oder besser seinem Cast. Neben der überraschenden Sidibe und einer respektablen Mariah Carey als Sozialhilfebeamtin dominiert Mo’Nique 110 Minuten lang bewegend das Set. Bis sie am Ende zur dramatischen Selbstauflösung ihrer Figur ansetzt. In Großaufnahmen, was gewöhnlich nach Tränendrüsendruck der Regie aussieht. Ihre beeindruckende Schauspielpräsenz rettet allerdings diese Momente und somit den ganzen Film.