Die Fische in meinem Kopf
David Lapham kannte man als beeindruckenden Geschichtenerzähler und inspirierten Zeichner. Mit seinem Debüt „Silverfish“ schlüpft er in die Rolle eines Comic-Regisseurs.
Jeder Mensch hat Geheimnisse. Jeder Mensch sollte Geheimnisse haben, allein schon um des eigenen Seelenfriedens willen. Die meisten sind harmlos, Lügen und Peinlichkeiten, Ängste und vielleicht auch die eine oder andere Scham und Schande. Manche können aber großes Unheil beschwören. Das Geheimnis, das Mia über ihre Stiefmutter Suzanne lüftet ist sogar tödlich. In Grautönen wird aus dem Misstrauen eines Teenagers gegenüber einer Frau, die anscheinend den Platz der verstorbenen Mutter einnehmen und die Erinnerungen an diese vernichten möchte, ein lebensbedrohliche Nacht. Angst quillt aus den spannungsgeladenen Zeichnungen Laphams hervor, Horror vor dem Mörder. Einem Psychopathen in dessen Vorstellungen dämonische Fische seinen Kopf bevölkern, ihm keine Ruhe gönnen. In etwas mehr als 150 Seiten treibt Lapham den Pflock der Spannung immer tiefer in das Herz dieser unruhigen Geschichte, kein Panel ist überflüssig, in keinem Moment stockt der Handlungsfluss. Mit chirurgischer Präzision orchestriert Lapham die Versatzstücke dieser Graphic Novel, beinahe wie ein Filmregisseur, erfolgreich in dem Bemühen die bedrückenden Anspannung aus den Seiten springen zu lassen. Zugleich fehlt es auch an nichts. In den schockierten und verzerrten Gesichtern der Protagonisten erkennt man Charaktere mit Tiefgang, versteht ihre Handlungsweise, sympathisiert mit ihnen auch in den Momenten, in denen man als Außenstehender weiß, dass sie Dummheiten begehen. David Laphams erste Graphic Novel übertrifft alle Erwartungen, die man an dieses lang ersehnte Werk hatte.
Laphams „Stray Bullets“ war mehrfach für die unterschiedlichsten Auszeichnungen nominiert, zweimal wurde David Lapham für die Serie auch der Eisner Award verliehen (1996 Best Writer/Artist, 1997 Best Graphic Album Reprint). Diese lose Crime Noir- und Slice of Life-Serie etablierte Lapham in der Riege der Independent Künstler. Bereits vor „Stray Bullets“ war Lapham Teil einer Legende, nämlich als Zeichner bei Valiant unter Jim Shooter. Später tauchte Lapham auch in die Welt der Mainstream-Comics ein, um seine Rechnungen zahlen zu können, Qualität büsste seine Arbeit dabei nicht im geringsten ein. In all dieser Zeit, durch diese unterschiedlichsten Erfahrungen, verfeinerte Lapham seine Fähigkeiten in allen Bereichen und doch blieb der logische Schluss dieser Entwicklung immer aus: ein Graphic Novel. Das wurde nun mit „Silverfish“ geändert.
Im Gegensatz zu Laphams Arbeiten in Serien, wo er gerne Plots und Charaktere über längere Zeiträume hinweg entwickelt, oft auch bewusst die Handlung anhält, sie sozusagen gären lässt, belegt „Silverfish“ seine Fähigkeiten auch in rasantem Tempo und ohne unnötiges Beiwerk eine Story zu erzählen. Es wäre höchst interessant David Lapham in einen Regiestuhl zu setzen und einen Film schreiben und machen zu lassen – tatsächlich schloss er 1995 einen solchen Vertrag mit Miramax, bis dato jedoch blieb dieser Vertrag ohne Früchte. So werden wir uns weiter an Laphams Noir-Sensibilitäten und handwerklichen Talenten in Sachen Comics erfreuen. (10/10) Nureddin Nurbachsch