Er wolle einen Film über eine spezifisch österreichische Krankheit mache, erklärt ein junger Mann mit großen Worten. Das Krankheitsbild: vorauseilender Gehorsam, vergessene Schuld. Der junge Mann ist Marcus J. Carney, dessen Großonkel 1938 Bürgermeister von Wien wurde. Der Opa, Zoodirektor, organisierte Großjagden für Hermann Göring. Nach jahrelanger Arbeit ist Carneys dokumentarisches Langfilmdebüt „The End of […]
Er wolle einen Film über eine spezifisch österreichische Krankheit mache, erklärt ein junger Mann mit großen Worten. Das Krankheitsbild: vorauseilender Gehorsam, vergessene Schuld. Der junge Mann ist Marcus J. Carney, dessen Großonkel 1938 Bürgermeister von Wien wurde. Der Opa, Zoodirektor, organisierte Großjagden für Hermann Göring. Nach jahrelanger Arbeit ist Carneys dokumentarisches Langfilmdebüt „The End of the Neubacher Project“ die angekündigte, unnachgiebige Stichprobenuntersuchung der eigenen Kollaborateursfamilie geworden – und zugleich ein Protokoll des Scheiterns. Mutter und Oma, Hauptfiguren und designierte Kronzeuginnen in Carneys Projekt, verweigern dem zornigen (Enkel-)Sohn mit der Kamera nicht nur verständnislos die Aussage: Altersschwäche und eine Krebserkrankung bedrohen den Fortbestand der Familienerinnerungen ganz materiell. Die unbedingte Distanzlosigkeit, mit der Carney die physischen und psychischen Leiden seiner Familie in den Film einarbeitet, ist moralisch riskant, letztendlich aber legitim: Weil Carney sich selbst nicht ausnimmt aus der Krankengeschichte, und weil er seine großspurigen historischen Gleichungen (Familie Neubacher = Österreich; Mitläufertum = Krebsgeschwür) immer wieder in ihre Einzelteile zerfallen lässt.