100 Tampons, aber keine Vulva im All – »Der Ursprung der Welt« im Dschungel Wien

Von einer arktischen Expedition auf der Suche nach der Klitoris über eine Reise ins Weltall hin zu einer utopischen Zukunft ohne einschränkende Geschlechterordnung: »Der Ursprung der Welt« im Dschungel Wien adaptiert Liv Strömquists Graphic Novel als Sound-Performance mit viel Humor und Patriarchatskritik.

© Hilde van Mas

Seitlich rechts im Bühnenraum schwebt eine Art Kokon, der je nach Szene eine andere Rolle einnimmt – fast als wäre er der dritte Schauspieler auf der Bühne. In kalt-blaues Licht getaucht mit Nebel und Windgeräuschen erinnert er zu Beginn des Stücks an einen Eisberg, den die beiden Darsteller auf ihrer Expedition passieren. Sie entdecken die Klitoris, die »aussieht wie ein kleiner Penis«, und den weiblichen Orgasmus samt Ejakulation, die im Publikum für viel Begeisterung sorgt, man aber auf keinen Fall filmen dürfe, weil: »Es könnte sich ja um Urin handeln.« Mit dieser und vielen andere humoristisch zugespitzten Aussagen über den Umgang mit Geschlecht im Patriarchat zeigt »Der Ursprung der Welt« einerseits die Absurdität des ganzen Systems auf und sorgt andererseits im Publikum für viel Lachen.

»Ich bin Experte, ich bin Spezialist, ich erklär dir das.«

Dann bebt der Kokon und in seinem Inneren leuchtet plötzlich eine Kugel – wie ein Planet umgeben von einer interstellaren Gaswolke – und wir erfahren, dass auf der Voyager Golden Record zwar ein Penis aber keine Vulva abgebildet ist und die erste amerikanische Astronautin für ihre einwöchige Mission mit 100 Tampons ins All geschickt wurde. Die Konstruktion von Geschlecht wird im Stück interdisziplinär anhand von Beispielen aufgearbeitet. Zwischen den einzelnen Exkursen – angefangen beim Jungfernhäutchen über Heteronormativität und Menstruation bis hin zu Sex und Gender – gibt es Sound-Performances mit live Schlagzeug, basslastigem Synth und harmonischen Vocals, die die gezeigten Ungerechtigkeiten zusätzlich be- und vertonen.

»Der Ursprung der Welt« seziert die gegenwärtigen Normen und schreibt sie in den Szenen mit einem riesigen Bleistift und während den Sound-Performances mit »menschlichen Stiften« neu. Dabei wird auch nicht vor der Frage zurückgescheut, warum eigentlich keine weiblich-gelesenen Personen auf der Bühne stehen: weil es alle betrifft! Und weil es irritiert. Androzentrische Erzählungen werden von zwei männlich gelesenen Personen dargestellt und gleichzeitig mit Ironie und Satire als feministische Werkzeuge kontrakariert.

»Der Urspung der Welt« (Foto: Hilde van Mas)

»Aus Liebe … zum binären Geschlechtersystem«

Der Kokon bebt wieder und wirft, umhüllt in neon pinken Rauch, Schatten an die Wand, die an einen wolkenbedeckten Nachthimmel erinnern. Im »Mondlicht« der (hoffentlich nicht allzu) fernen Zukunft finden wir die zwei Darsteller gemeinsam in einem Bad entspannend wieder, wie sie ironisch in Erinnerungen an eine Zeit schwelgen, in der Menstruationsprodukte Geld kosteten, Farben einem Geschlecht zugeschrieben wurden und intersex Kindern ein binäres Geschlecht aufgezwungen wurde – »aus Liebe … zum binären Geschlechtersystem«.
Das Stück endet mit einer letzten rocklastigen Sound-Performance und dem Appell »in der Asche der Erfindung etwas neues zu erfinden«. Schlussendlich verlässt man das Theater sehr gut unterhalten, besser informiert und mit dem Wunsch nach einer besseren Zukunft – die zur Abwechslung mal auch erreichbar scheint!

»Der Ursprung der Welt« ist noch am 29. und 30. April 2024 im Dschungel Wien zu sehen.

Dieser Text ist im Rahmen eines Schreibstipendiums in Kooperation mit dem Dschungel Wien entstanden.

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