Rollenspielerin von nebenan

Lindsey Stirling zieht aus EDM und populärer Klassik ein „happy medium“ und ist damit Nummer Eins in Österreich. Wir gehen ihrer Popularität auf den Grund.

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Gerne wollten wir im Interview Lindseys Bogen ein bisschen überspannen. Aber sie ist einfach zu nett oder spielt ihre Rolle zu gut oder sie ist einfach so. Mit dem Namen Richard Wagner kann sie zwar nicht allzu viel anfangen, aber sonst ist sie voll und ganz Herrin ihrer eigenen Welt – Klassik-Pop x Fantasy 2.0.

Für Lindsey gehört ein typisch amerikanischer Freundlichkeitsausdruck wie „yeah!, „oh!“ oder „he!“ vor jede Antwort. Das macht sie zu einer netten und vordergründig leicht-umgänglichen Gesprächspartnerin. Selbst auf kritische Fragen reagiert sie meist unkonkret und hochmotiviert, z.B: „Mein Herz schlägt für elektronische Musik.” Oder: “Ich bin einfach nur ehrlich, wenn ich auf die Bühne gehe!“ Das macht die Unterhaltung, nun ja … oberflächlich. Fragen prallen an ihr ab, nicht ungut, Lindsey bemüht sich die relativ unnatürliche Interviewsituation ernst zu nehmen. Gern hätten wir von Lindsey selbst mehr erfahren. Aber vage bleiben ist für sie eben weniger riskant.

Also gehen wir die Sache halt analytisch an. Wie kam Lindsey zu ihrem Publikum?

Happy Medium”

Fantasy-Kostüme sind ja eigentlich total raus in der EDM-Szene. In Goa und Trance sieht die Mode derzeit schon ausgefranster aus. Nun mixt Lindsey konkrete Fantasy-Anleihen – sie nächtigte übrigens im The Ring-Hotel – mit EDM-Beats und Trance. Gewisse Ausfallschritte ihrer Performance erinnern vage an Jungle- und Drum‘n‘Bass Tanzstile. Ihre Liebe zu Techno entdeckte Lindsey noch auf der Highschool mit dem Track „Sandstorm“ von Darude (David Garrett hat den adaptiert). Im Alter von sechs bis 18 Jahren nahm sie klassischen Geigenunterricht.

Lindsey hätte ihre Songs gern klassisch komplexer gestaltet, aber, so sagt sie, das hätte zu kompliziert geklungen, am Ende waren zu viele Noten und keine Songs da. Zusammen mit den Beats und der einfachen Struktur hätte das einfach nicht funktioniert. Sie musste einen Kompromiss finden, ein „happy medium“. So auch mit dem Tanzen; zu allzu virtuoser Klassik kann man einfach keine schweißtreibenden Choreografien hinlegen. Und die Message? Auch da: eher „happy medium“. Mal sei für ihre Songs eine Idee oder ein Thema oder eine Melodie zuerst da, mal nur eine Stimmung, aus der heraus alles entsteht, mal fängt alles mit dem Videodreh an … Crossover hätte man das früher genannt. Masterplan sieht jedenfalls anders aus.

Elfen, Feen, Zombies

Zweitens; das Publikum und wie es sich mit Lindsey identifiziert: Sieht man sich auf den Konzerten um – was wir nicht getan haben, aber wir haben nachgefragt – sieht man überwiegend Typen Mitte 20. „Sie spielt das junge Mädchen von nebenan und diese Rolle spielt sie echt gut!“, ungefähr so sagte man aus den Universal-Reihen. Auf dem Cover ihres Albums trägt sie ein Schulmädchen-Kostüm, wie Britney Spears in „…Baby One More Time“. Diese Seite an Lindsey steht scheinbar im Gegensatz zur Inszenierung als Elbin, Elfe, Zombie-Beschwörerin etc., wie in ihren Videos zu sehen.

Wie das alles zusammengeht? Lindsey – das nette Mädchen von neben an alias Prinzessin aus dem Wunderland ist die beste Gefährtin im Kampf gegen das Böse und Party-Chic in einem. Musik und Performance mäandern durch verschiedenste Genres elektronischer Klubmusik, worüber sie fiedelt was das Zeug hält und tanzt, wo noch Luft ist – beeindruckend vielseitig, wie ihre Fans sicher finden. Sie überkreuzt Stile und Identitäten von Jugendkultur. Lindsey nennt das „happy medium“ und ist damit gerade sehr erfolgreich. Im Kopf klang da immer „Happy Meal“ nach, wenn sie das sagte. Also ein bisschen von allem, in kleinen Häppchen verpackt in catchy-bunter Verpackung. Aber wirklich satt wird eben nur, wer noch in bunten Kinderschuhen steckt.

Lindsey Stirling

am 6. Juni live in der Arena Wien (ausverkauft)

http://www.lindseystirling.com/

Bild(er) © Lindsey Sterling
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