Die junge oberösterreichische Autorin Romina Pleschko entwirft in ihrem Debütroman eine abgründige Komödie. Zentrales Dreigestirn sind dabei die Mitglieder einer Gynäkologenfamilie, die sich gegenseitig im Weg stehen. Bis es kracht.
Ein bürgerliches Wohnhaus in Wien. Man grüßt sich am Gang, aber jeder ist für sich und tut, was er/sie nicht lassen kann. Man lebt aneinander vorbei und hat sich doch ständig im Visier. Die einen können nicht anders, als sich gegenseitig in den Wahnsinn zu treiben, weil sie verwandt sind, und die übrigen stalken einander oder versuchen sich gegenseitig ganz konkret aufs Kreuz zu legen – amourös beziehungsweise kriminell.
Erotischer Marktwert
In Anekdoten blättert Romina Pleschko durch ihre Figuren und ergründet dabei scheinbar beiläufig, wie und warum sich jede dieser Personen im Grunde selbst verleugnet. Sie hält uns in überzeichneter Form den Spiegel vor und entlarvt unsere Eitelkeiten. Wie wir uns optimieren und zurechtmachen, um unser Sozialprestige aufzufetten oder unseren erotischen Marktwert in die Höhe zu treiben – während wir uns selbst dabei aus den Augen verlieren. Wenige Autor*innen schaffen durch subtile Akzentuierung der Figuren einen derart klaren Blick auf elementare gesellschaftliche Strukturen. Und genau das kann und soll Kunst: kontrastieren und Muster erkennbar machen. Die beschriebenen Archetypen halten für jede Leserin, für jeden Leser eine – nicht sonderlich schmeichelhafte, aber dennoch auf eine skurrile Art sympathische – Identifikationsfigur bereit. Versprochen.
Vor einiger Zeit hat Romina Pleschko auf FM4 ein schönes Interview gegeben. Dabei ist unter anderem folgender Satz gefallen: »Ich war ganz überrascht davon, das Humor im Literaturbetrieb so einen shady Ruf hat.« Das hat mich ins Grübeln gebracht. Dabei habe ich die vage Idee herausdestilliert, dass die schreibende Zunft hierzulande immer noch im Bernhard-Komplex gefangen ist oder sich jedenfalls ein stückweit vor unserem National-Grantscherben rechtfertigen muss. Die anno dazumal gebetsmühlenartig vorgetragene milchsaure Ironie war und ist schließlich das Gegenteil von Humor, nämlich die pure Verzweiflung. Sie war und ist das Lachen, das im Halse stecken bleibt. Die absichtlich verhinderte Katharsis. Schönen Dank auch!
Nicht bloß kandierte Schadenfreude
Es braucht ein Buch wie »Ameisenmonarchie«, um wieder zu sehen, dass Humor in erster Linie ein lustvolles Erleben ist und nicht bloß kandierte Schadenfreude. (Nicht falsch verstehen: Es gibt auch viel Gutes über den selbsternannten Auslöscher/Untergeher/Holzfäller anzuführen – »Wittgensteins Neffe« zum Beispiel –, aber das ist in den letzten Jahrzehnten bereits zur Genüge passiert.) Klopf, klopf! Wer ist da? 2021!
Romina Pleschko hat Schauspiel studiert, aber – wie viele ihrer Kolleg*innen – nur kurz in diesem Bereich gearbeitet. Einige Zeit war sie dann Visagistin in Hamburg. Über die Vereinbarung von Kunst und Familie sagt die zweifache Mutter im FM4-Interview: »Ich habe einen völlig militärisch organisierten Alltag.« Der Satz könnte aus demselben Grund von der gebenedeiten Lydia Haider stammen, die ebenfalls über einen sehr spezifischen Humor einen zeitgenössischen Zugang zu Literatur gefunden hat. So wie auch Stefanie Sargnagel. Oder Puneh Ansari. Oder Barbara Zeman. Oder Rafaela Edelbauer. Oder Miroslava Svolikova. Viele Menschen ohne Penis haben in letzter Zeit gezeigt, wo der Hammer hängt.
Weil wir gerade beim Thema sind: Zwei zentrale »Ameisenmonarchie«-Figuren mit Penis landen jeweils in ihrer ganz eigenen Hölle. Der eine dämmert nach einem Schlaganfall dahin und wird mit diabolischer Liebe von seiner Frau gepflegt, während der andere in freudiger Aussicht auf Sex auf eine sehr radikale Art desillusioniert wird. Beide Figuren werden dabei aber nicht nur dem goldenen Matriarchat geopfert, sondern darüber hinaus auch mit viel Liebe auf die Schlachtbank geführt. Das Feng-Shui stimmt also. Alles Weitere bitte selbst nachlesen.
»Ameisenmonarchie« von Romina Pleschko ist im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen.