Sag's durch die Klowand

Norbert Siegl hat sich schon mit Klo-Graffitis beschäftigt, bevor der Großteil der The Gap-Leser in die Windeln geschissen hat. Man kann den heute 85-jährigen Wiener also ohne Übertreibung als Experten bezeichnen. Wir haben ihn interviewt.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

»Toiletten-Graffiti aus einem Wiener Institutsgebäude: vollständige Bestandsaufnahme aller Graffiti in 46 Toilettenkabinen der Wiener Universität. Mehrbändig«. Das ist nur einer der vielen Einträge, die man findet, wenn man nach Norbert Siegl im Universitätsbibliothekskatalog sucht. Da wollte es jemand genau wissen, könnte man sagen – wenn man es im Gespräch mit Norbert Siegl aber genauso formuliert, antwortet er: »Was heißt wollte, ich lebe ja noch!«. Er hat seine Forschung trotz seines Alters also keineswegs aufgegeben, er ist Leiter des Wiener Graffiti- und Street-Art-Archivs, das er 1976 als eines der ersten und umfangreichsten Dokumentationszentren für Graffiti-Kunst gegründet hat. Im Laufe der Jahre hat er mit seinem Team über 80.000 Graffiti gesammelt.

In seiner Diplomarbeit »Das geschlechtstypische Kommunikationsverhalten am Beispiel von Toilettengraffiti« hält er die Klo-Inschriften nicht nur fest, sondern analysiert sie auch. Lange vor anonymen Accounts in Internetforen bildeten Klos einen abgeschlossenen Bereich, in dem Menschen nicht nur ihrer Notdurft, sondern auch ihren Gedanken freien Lauf lassen können. Die meistdiskutiertesten Themen unterscheiden sich dabei ebenfalls wenig von der Onlinewelt: Sex und Politik. Ok, das hätten wir vermutlich auch ohne Norbert Siegl geahnt, dennoch lassen sich interessante Parallelen zwischen Klo- und Außenwelt ziehen, wenn man sich seine Ergebnisse genauer ansieht. Beispielsweise was politische Äußerungen betrifft: Während Männer auf den Klowänden der Universität Wien eher zu rechten Äußerungen neigen, hinterlassen Frauen vermehrt politisch linke Inhalte am Häusl.

Wer das mit Wähleranalysen vergleicht, wird zu einem ähnlichen Bild kommen. Während Politik am Klo häufiger von Männern diskutiert wird, ist Sexualität am Frauenklo häufiger ein Thema. Die Klowände der Universität fungierten dabei zum Teil sogar als Ratgeber – wie kommt man zum Orgasmus, welche Auswirkung hat die Penisgröße, wie vermeidet man Schmerzen beim Analverkehr – was heute Google beantwortet, hat 1991 noch die Klo-Community der Uni Wien erledigt. Dass das in dieser Form nicht mehr der Fall ist, liegt aber nicht nur daran, das wir durch die online anonyme Statements und Fragen schneller loswerden können – es hat auch architektonische Gründe. Warum Klo-Graffitis eine aussterbende Spezies sein könnten und wie man sich 60 Jahre lang mit ihnen beschäftigt, hat uns Norbert Siegl im Interview erklärt.

Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Klo-Graffiti, wie kam es dazu?

Nicht seit Jahren, seit Jahrzehnten! Ich habe mit 25 begonnen, mich damit zu beschäftigen und jetzt bin ich eben schon 85. Ich war von der Materie schon immer sehr fasziniert, es ist einfach eine einzigartige Situation, in der die Kommunikation am Klo erfolgt. Durch einen anonym bleibenden Einzelnen ist eine große Anzahl von Rezipienten erreichbar und es können Beiträge kommuniziert werden, die in anderer Umgebung möglicherweise auf Unverständnis stoßen würden.

Sehen Sie Klo-Graffiti als Vandalismus oder als Kunst?

Weder noch. Es ist einfach eine Form der Kommunikation – so muss man das sehen, das hat meiner Meinung nach weder mit Kunst noch mit Vandalismus etwas zu tun.

Wieso werden gerade Klos so ein besonderer Kommunikationsraum?

Da geht es um Privatheit. Es gibt ja keine Räume, die so privat sind wie dieser. Diese abgeschlossene Situation fördert die Anonymität und es werden viele Themen angeschnitten, die ansonsten nicht so oft angesprochen werden – das zeigt sich gerade auch in der langjährigen Forschung. Themen, die gesellschaftlich noch nicht so akzeptiert waren, wurden auf Klos dennoch »diskutiert«. Sexualität, extreme politische Meinungen und Ansichten beispielsweise. Und dieser Raum fördert eben auch, dass das in ausführlicher Weise abgehandelt wird, was im sonstigen öffentlichen Raum nicht der Fall ist. Natürlich gibt es im sonstigen öffentlichen Raum auch Graffiti, aber die sind meistens reduziert auf kürzeste Parolen, während am Klo Zeit bleibt für die längere Auseinandersetzung mit Themen.

Wie sind Sie bei Ihrer Arbeit damals vorgegangen? Wie offen war die Uni für das Thema?

Ich wollte keine offizielle Genehmigung für die Erhebung einholen, da das mit einem beträchtlichen zeitlichen und bürokratischen Aufwand verbunden gewesen wäre. Außerdem konnte ich nicht einschätzen, ob die Universitätsdirektion eine Genehmigung zur Durchführung erstellt hätte und wenn die Aufmerksamkeit erst einmal auf die Inschriften gelenkt worden wäre, hätten sie leicht bei einer gründlichen Reinigungsaktion zerstört werden können. Um zu starker Benutzerfrequenz und den damit zusammenhängenden Unannehmlichkeiten zu entgehen, nutzten wir die Semesterferien 1991 zur genauen Materialerhebung. Ein Problem stellten natürlich die Enge und die unvermeidbar mit der Örtlichkeit zusammenhängenden Gerüche dar. Insgesamt haben wir so 46 Kabinen in zwei Stiegen über insgesamt vier Etagen erfasst.

Was hat sich im Laufe der Zeit verändert?

Da hat sich schon einiges verändert. Im ganzen Universitätsbereich gibt es eigentlich fast keine Klograffiti mehr, die Kulturform ist zumindest im Universitätsbereich großteils ausgestorben. Das hat damit zu tun, dass die Reinigungshäufigkeit gestiegen ist, dass die Wände nicht mehr tapeziert sind oder geweißt sind wie früher oder sie sind überhaupt mit Kunststoff verkleidet, auf denen viele Stifte nicht haften. Es gibt eine ganze Reihe von architektonischen Hindernissen, denen Klo-Graffiti heute ausgesetzt ist. Als ich begonnen habe, waren Klo-Graffiti wirklich auf jedem öffentlichen Klo zu finden – auf jedem Universitätsklo, in jedem Lokal. Die waren einfach eine konstante Kulturleistung, die überall im gesamten deutschsprachigen Raum anzutreffen war. In der Zwischenzeit ist das zurückgedrängt worden, es gibt nur mehr wenige Refugien. Ich bin sehr glücklich darüber, dass Sie da jetzt noch etwas gefunden haben, weil das ist eine Kulturform, die kurz vor der Ausrottung steht. Das ist eigentlich sehr schade.

Wer sich für Graffiti-Kunst im Allgemeinen und Klo-Graffiti im Speziellen interessiert, dem ist ein Besuch im Graffiti-Museum Wien zu empfehlen. Ausführlichere Informationen zum Thema gibt es außerdem auf www.graffitieuropa.org

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...