Nach fast 20-jährigem Bestehen hat ein Projekt wie Tosca Erfahrung, Gewohnheiten und Standards. Warum sie trotzdem noch Hausaufgaben machen, erzählen Richard Dorfmeister und Rupert Huber im Interview.
Im Rahmen der Viennafair führten Tosca im Oktober die Musik ihres kommenden Albums im ganz besonderen Rahmen des Odeon Theaters auf. Das Konzert, für das sie sich kurzfristig ein neues Live-Konzept mit vielen Gastmusikern überlegen mussten, war eine so substantielle Erfahrung für die beiden, dass sie kurzerhand das Album danach benannten. Auch das Cover von “Odeon” zeigt einen Schnappschuss von diesem Abend. Zu sehen ist JJ Jones, der zur ersten Single die Vocals beisteuerte.
The Gap: Euer kommendes Album erscheint etwas düsterer, gerade die Single "Jay Jay". Woher kommt dieser Einschlag?
Rupert Huber: Die einzelnen Tracks sind wie Schnapschüsse. Es kann schon sein, dass sich da eine Stimmung einschleicht, die eher düster ist. Das war aber keine Intention von uns.
Richard Dorfmeister: Wir arbeiten generell nicht so, dass wir vorher festlegen, wie eine Nummer klingen soll. Wir treffen uns, plötzlich ergibt sich eine Art musikalischer Dialog und eine Skizze entsteht. Rupert und ich waren zusammen auf dem Gymnasium. Durch die lange Zeit, die wir uns kennen, haben wir ein Selbstverständnis und eine eigene Arbeitsmethode entwickelt. Wir machen eine Nummer nicht mal eben in zwei Tagen fertig, sondern es gibt mindestens fünf Phasen: Skizze, Weiterbearbeitung, Aufnahme, Überarbeitung und Mixing. Das dauert manchmal ein Jahr. Durch andere Verpflichtungen ist die 3- oder 4-Tage-Session einmal im Monat ganz wichtig für uns. Zeit hat in den letzten Jahren eine unglaubliche Bedeutung für uns bekommen. Früher hat Zeit überhaupt keine Rolle gespielt.
RH: Ich denke, es kommt auch daher, dass wir das Ganze schon länger machen. Das reine Rumexperimentieren, das Acht-Wochen-an-einem-Sound-Sitzen, fällt weg, weil man schon weiß, was man will. Das hat sich seit “Opera” verändert.
RD: Was bei einer Session genau passiert ist nie vorsätzlich, sondern meistens gesteuert davon, ob es sich gut anfühlt. Dabei bewegen wir uns in einem gewissen Rahmen, in dem wir uns in Details und Abstufungen weiterentwickeln. Die Musik verändert sich trotzdem, aber wir haben einen gewissen Sound. Es ist nicht unser Ding einer Mode hinterherzulaufen.
Wie entscheidet ihr, welcher Track welche Art von Vocals braucht?
RH: Das ergibt sich einfach. Unser langjähriger Fotograf Markus Rössle hat z.B. ein Buch gemacht, für das er Künstler in ihren Heimstätten in Niederösterreich besucht hat. Zufällig traf er Roland Neuwirth, der früher Richards Gitarrenlehrer war. So hat sich die Kooperation mit ihm ergeben. Oder Rodney Hunter, der nur einen Bass zurückbringen wollte. Den haben wir gleich mal in die Gesangskabine geschickt um etwas auszuprobieren.
RD: Aufnehmen – Vokalist kommt – Nummer ist fertig. Diese traditionelle Aufnahmemethode drehen wir gerne mal um, indem wir z.B. eine Vocal-Aufnahme auf eine andere Nummer legen. Das klappt manchmal.
RH: Es gibt schon gewisse Parameter. Bei "Jay Jay" war klar, dass man mit den Halbtönen usw. einen richtigen Sänger braucht. Ich habe J.J. Jones einmal live gesehen und war beeindruckt von dem Register, das er drauf hat.
RD: Wir versuchen für Vocals und Remixe, die auch bald kommen werden, immer wieder neue Leute ins Boot zu holen. Aber es gibt auch Standards, wie Stephan Wildner. Er ist seit 20 Jahren auf eigentlich allen Alben dabei. In den 80ern hatte er eine Band namens Graf Hardik. Eigentlich ist er Chefarzt an der Psychiatrischen Klinik, singt aber noch immer und ist Freak geblieben.
Wer schreibt die Texte?
RD: Der Rupert.
RH: Der Richard.
RD: Oft entsteht er aus Improvisation. Manchmal bereitet sich jemand vor und bringt einen Text mit. Oder wir lassen uns von etwas ganz Anderem, von einer Betriebsanleitung – nur als Beispiel -, inspirieren und transferieren es auf andere Dinge.
RH: Wir schreiben die Texte insofern, dass wir sie editieren, vielleicht aus einer Aufnahme etwas Anderes montieren.
RD: Wir haben selten eine Nummer releast, bei der der Gesang in einem Durchgang auch so eingesungen wurde. Chris Eckman hat das einmal vollbracht.
Wie reagieren die Sänger darauf, wenn ihr ihren Gesang "zerschnibbelt"?
RD: Wir hatten einen Fall, bei dem der Sänger nicht so happy war. Aber wir arbeiten hauptsächlich mit Leuten zusammen, die uns sehr vertrauen.
Ist "Jay Jay" die Single geworden, weil es seit einer Weile ein New Wave-Revival gibt?
RH: Für Tosca ist die Single nicht wirklich wichtig, sondern soll eher das Album bewerben. Also haben wir die Plattenfirma ein bisschen mitreden lassen. Mir persönlich ist es wurscht, ob "Meixner" oder "Jay Jay" die Single ist.
RD: Die Plattenfirma hat es so empfunden, dass "Jay Jay" etwas Neues an unserem Stil ist. Für uns war es nur ein weiterer Track.
Die Single und "In My Brain Prinz Eugen" gehen etwas weg von der Stimmung und den Strukturen elektronischer Musik, sind eher song-ähnlich und poppig.
RH: Das liegt sicher auch an der Griffigkeit von J.J.s Gesang und dem Refrain von "Prinz Eugen". Die Songs sind quasi Scheinsongs. Sie sind Landschaften und Skulpturen aus Sounds. Die Stimmen sind scheinbar konkret in den Song eingefügt, aber eigentlich auch nur ein weiteres Element, das mal mehr, mal weniger rhythmisch und tonal herumschwebt. Insofern stimmt es, dass sich da Songstrukturen auflösen bzw. kommt zum Vorschein, dass wir nie welche hatten.
Auf dem Album habt ihr viele Geräusche verwendet, Vogelzwitschern, Herzklopfen und einen Maschinen-Sound. Habt ihr dafür Field Recordings gemacht?
RH: Das ist alles Field. Das Maschinengeräusch habe ich in einer riesigen Fabrikhalle aufgenommen. Durch die limitierten Sessionzeiten stammen die Sounds immer aus dem Zeitraum kurz davor. Es geht weniger darum, an einer gewissen Stelle einen Sound zu brauchen, der z.B. klingt wie eine Bohrmaschine, sondern dass er mit der Geschichte, die er erzählt, zur Stimmung passt. Er bringt zusätzliche Tiefe hinein.
RD: Wir haben mittlerweile eine riesige Bibliothek an Sounds, aus der man ein paar, die heute noch funktionieren, wieder verwenden könnte. Wir machen aber immer neue Sounds oder ich sammle Teile und wir versuchen dann gemeinsam, sie zusammen zu bringen. Erst bei der Session anzufangen, Sounds zu suchen ist mühsam und kostet zu viel Zeit. Wir wollen immer mit einem Ergebnis rausgehen. Es gibt also permanent Hausaufgaben, wie ein Mitteilungsheft. Wenn Rupert nichts bringt, bekommt er von mir einen roten Eintrag: "Du hast die Samples nicht gebracht." (lacht)
Auffällig ist, dass ihr oft Ortsnamen in den Titeln habt: "Stuttgart", "Dehli 9", "Züri", "Utrecht Spa" oder "Elektra Bregenz".
RD: Das ist mir noch nie aufgefallen, aber stimmt. Dann machen wir als Nächstes gleich ein Album mit…
RH: Graz, Linz…
RD: St. Pölten…
RH: Amstetten…
RD: Es sind absurde Namen, die keine weitere Bedeutung haben und sich aus irgendeinem blöden Schmäh ergeben. Wir behalten die Titel, die wir uns merken können, weil sie für uns lustig sind – für jemand Anderen sind sie schwachsinnig.
Wie sehr fließt eure Heimatstadt Wien in die Musik ein?
RD: Wien hat sich mit der Ostöffnung in den letzten Jahren total gewandelt. Diese Internationalisierung gab es nicht, als wir damals angefangen haben. Es war völlig grau. Die Stadt war einfach noch nicht so entwickelt, einfach hinter’m Berg.
RH: Zumindest in den besseren Bezirken hat sich viel verändert. Ich habe während meines Studiums im 10. Bezirk gewohnt. Dort ist es nach wie vor grau. Was sympathisch an Wien ist, und wo wir wienerisch geprägt sind: die Leute zweifeln immer – im positiven Sinne. Aus irgendwelchen Gründen sind alle immer unsicher, im Gegensatz zu New York, London oder Berlin.
RD: Es wäre schon interessant mal den Ort zu wechseln und etwas Anderes zu machen. Tosca in Rom wäre natürlich auch sehr schön: gutes Essen usw. Aber unsere Musik hängt damit zusammen, dass wir schon so lange hier sind. Es gibt eine History, die mit dem Feel der Musik, das rauskommt, zusammenhängt. Wobei das ganz schön missbraucht wurde, beim Wien-Hype Anfang 2000 mit Compilations usw. Plötzlich hieß sie "die Stadt des Downbeats". Das stimmte nur teilweise. Durch den Hype haben plötzlich alle diesen Sound gemacht. Die Tradition von Wien als Musikstadt war auch Thema, Mozart, Strauß usw. Man wächst damit auf und unterschwellig ist es jedem bewusst. Die Szene der Klassik-Leute, die hier rocken, ist jedenfalls nicht unbeträchtlich.
RH: Legionen von Geigern. Battalione von Cellisten… (lacht)
RD: Die Wiener Elektronikszene ist auch nicht klein. Die Sofa Surfers gibt es sowieso schon länger. Sie sind immer wieder auf Tour und haben gerade den Soundtrack für einen Film gemacht. Um Patrick Pulsinger sind es immer noch die selben Leute wie vor 25 Jahren: Patrick, Rodney Hunter und Peter Kruder. Neuer ist die ganze Dorian Concept-Abteilung.
RH: Ich mag auch Wolfgang Mitterer, aus der Experimental Jazz- und Elektronik-Ecke.
Vergleicht man sich denn mit Berlin? Geht Wien ein bisschen unter, weil Berlin so gehypt wird?
RD: Berlin war in gewisser Weise immer schon bigger als Wien, einfach viel internationaler. Wir selbst hatten mit Berlin immer eine Connection, allein durch die Plattenfirmen, und waren immer wieder dort. Es hat viel mehr Strahlkraft als Ausgangsstation für einen Platten-Release oder überhaupt einer Musikaktion.
Es hat sich ganz schön verändert. Was sich jetzt dort abspielt ist over-the-top. Es ist das New York Europas. Und das Geile ist, dass sich dort Alben halb selber produzieren. Die Leute kommen dahin und denken: “Jetzt geht es ab. Wir sind ja in Berlin: Super, oder?” – “Ey, geil!” Und in Wien sind alle so… (stöhnen beide im Chor und ziehen die Mundwinkel nach unten)
RH: Wien ist dann vielleicht mehr das Walzer-Nashville Europas.
"Odeon – Limited Edition" erscheint am 1. Feber via K7 Records.