Was wurde nicht gewartet auf das zweite Album von The XX. Stunden, Tage, Jahre, ein paar Menschenleben. Jetzt ist es da und klingt genauso wie das davor. Scheiße. Dumm gelaufen. Oder ist es vielleicht doch erfreulich, wenn sich nichts verändert? Yannick Gotthart und Stefan Niederwieser haben kein X auf dem anderen gelassen.
Nullerjahre Revival
Vielleicht wird das dritte Album, dann ohne Lieferdruck, wieder grandios. Vielleicht hätten The XX aber nach dem ersten einfach aufhören und ihre Botschaft als Lifestyle-Blogger in die Welt tragen sollen. Im Song »Shelter« auf dem Debüt »XX«, fragte Sängerin Romy Madley: »Can I make it better, with the lights turned on?«. Und es war klar: Nö, kann sie natürlich nicht. Und weil sie das so offensichtlich selbst wusste, wurde sie berühmt. Seit XX ist nachvollziehbar, wie es ist, wenn sich 16-Jährige trocken von außen betrachten. Die Band ist seitdem die Referenz für zeitgenössischen Biedermeier. Der dreht sich um Kids, die sich weder mit Politik und Ökonomie, noch mit Drogen und Partys beschäftigen. Das Heilsversprechen des kontrollierten Exzesses hatte MTV bis zum Ende der Nullerjahre schon seit über 20 Jahren herausproletet. Zulange, um es noch als wilde Option auf erwachsenes Leben ernst zu nehmen. Die Songs auf »XX« waren folglich immer minimalistisch und still, gerade weil zu sprechen sich eigentlich nicht lohnt, wenn alle möglichen Antworten, die das Leben anbietet im Grunde schon vorgegeben sind. Das Debütalbum war eine epochale Zuspitzung. Als Figuren der Popkultur folgten auf The XX Menschen wie Tavi Gevinson, die kürzlich im Zeitmagazin präsentierte minderjährige Herausgeberin des Rookiemag, Menschen also, die Lifestyle-Zitate weder ironisch noch zynisch leben und mit 15 bereits alt sind. Führt man sich also die potenzielle Fallhöhe des zweiten Albums vor Augen, verwundert es nicht, dass es tief gefallen ist. Denn was sollte man nach der zum ikonischen Klang getriebenen Leere noch sagen? Im Pressetext steht: »The XX sind erwachsen geworden«. Das ist natürlich das Schlimmste, was ungefähr jedem Menschen passieren kann. Etwas Gutes lässt sich daraus höchstens für Jamie XX ableiten. Er hat »Coexist« großartig und im PR-Sinne des Wortes »reif« produziert. Stimmen, Bässe und die zahlreichen kleinen Synthie-Elemente sind wunderbar aufgeräumt abgemischt. Das erste Album hört sich im Vergleich zum Zweiten an wie Brei. Dafür muss man sich beim Neuen aber regelmäßig fremdschämen – und das überwiegt leider. Wenn Romy Madley fragt: »Do you feel it, can I feel it, can you feel it?« Muss die Antwort wiederum lauten: Nö. Eigentlich eher nicht so. Tut mir leid. So böswillig das klingen mag, ist es nicht gemeint. Heute geht die gefühlte Hälfte aller Remixes in meinem Facebook-Newsstream auf den Blog von The XX zurück. Dabei wird ihre Gucci Goth angehauchte neue Bürgerlichkeit trotzdem noch oft fehlinterpretiert. Beispielsweise sollen, unbestätigten Gerüchten zu Folge, zahlreiche verirrte Seelen, zum Album „XX“ häufig romantischen Sex gehabt haben. Das ist natürlich eine falsche Anwendung von Popkultur. Romantischen Sex hat man korrekterweise zu Angus and Julia Stone. Zu The XX verlässt man und wird verlassen. Zumindest zum ersten Album. Das zweite ist jetzt halt auch da. TEXT Yannick Gotthardt
Popmusik klingt immer trauriger
The XX machen nichts anders. Damit sind erstaunlicherweise immer noch ziemlich aktuell. Weil sie früher so weit vorneweg waren. Dieses Mal ein klein wenig bunter, will das Cover wohl sagen. Stimmt nicht, The XX machen genau da weiter, wo sie aufgehört haben. Mit Einwort-Titeln, behutsamen Kontrasten, Gefühlen, Erschöpfung. Mit elf Songs mehr. Was sollten sie auch sonst machen. Niemand klingt sonst so, hat einen derart eindeutigen Sound. Das geht so weit, dass seit dem Debüt vor drei Jahren keine andere Band das irgendwie ähnlich sinnvoll hinbekommen hat. Eigentlich werden so neue Stile und Stars geboren, indem Soundkonzepte imitiert und verändert werden, siehe Muse, siehe Mando Diao, Robyn, Mogwai, Sbtrkt, Four Tet, James Blake, Nicolas Jaar. Hier ist das nicht passiert. Ja, schwer grummelnde Bässe, zartes Zittern in Echokammern, flirrende Luft, Beklemmung, Gänsehaut, das gab es seither reichlich. Aber nur The XX gelang der Spagat zwischen Laptop und Band so mühelos. Und die Reduktion bis auf die stummen Knochen. »Coexist« ist deshalb natürlich eines der ganz großen Alben dieses Jahres. Weil das sonst niemand so fertig bringt. Weil Schwarz das Neue Schwarz ist. »Hospice«, das grandiose dritte Album der Antlers, erschien genau einen Tag nach »XX«. Beide Alben handelten von Verlust. Lana Del Rey, Hurts und Adele können ebenfalls ein paar Lieder davon singen. Heute sind †, ∆, X und X die Zeichen der Zeit, Platzhalter und Leerstellen. Und laut einer bescheuerten Studie klingt Popmusik überhaupt immer trauriger. Da muss man selbst nicht besonders einfallsreich sein, um das auf die Gesellschaft zu schieben, in der wir leben. Es gibt auch reichlich Stoff, »Coexist« nicht zu mögen. Wer die Band früh entdeckt hat und weitergezogen ist, kann sich bestätigt sehen, ein One-Trick-Pony mit einem Nachfolger ohne Risiko und Entwicklung. Die Band ist immer noch ziemlich bleich im Gesicht. Die Einsamkeit zu zweit ist immer noch ziemlich unendlich. Die Texte drehen sich um sich selbst, lesen sich ohne Sounds wie Lyrik von Maturanten. Schön, wer sich solche Luxusprobleme leisten kann. Und wann kommt die Band endlich vom Ketamin weg? Viel besser kann man diese paar geduckten Gefühle, von denen The XX singen, allerdings kaum festhalten. Den meisten wird das reichen. Immerhin gab es heuer schon einige massiv gefeierte Alben, die künstlerisch still standen, aber dafür nur ein kleines bisschen bessere Songs darboten. Bei The XX heißt das allein schon ziemlich viel. TEXT Stefan Niederwieser
Und was sagt eigentlich das Hirn der Band – Jamie XX – dazu? Nicole Schöndorfer hat ihn hier interviewt.
"Coexist" von The XX erscheint am 7. September via Young Turks / XL Recordings.